Ausladende Psycho-Show: ‚Der fliegenden Holländer‘ in der Staatsoper im Schillertheater****

Zeit: 19 Jahrhundert. Ort der Handlung: ein von zwei Kristall-Lüstern meist schwach erhellter Salon mit vielen Bücherregalen und einem riesigen, goldgerahmten See-Gemälde im Hintergrund. Schon während der Ouvertüre schleicht sich bei Nacht die noch ganz junge Reeders-Tochter Senta herein, holt einen alten Schmöker aus dem Regal, vertieft sich lesend darin und beginnt zu träumen. Das Riesen-Gemälde im Hintergrund öffnet sich – gleichsam eine zweite, kleinere Bühne – mit Bilck auf Felsengestade, Meer und Schiffe. Und so phantasiert sich Senta die Begegnung ihres Vaters Daland mit dem romantisch-düsteren Holländer des Buches zusammen, dessen Wunsch eine Frau ist „treu bis in den Tod“.
Dann aber geht das Licht an: die nun erwachsene junge Frau wird von einem guten Dutzend weissbeschürtzter Dienstmädchen angekleidet, Bücher werden abgestaubt und der Fusssboden geschrubbt, bis Vater Daland in den Salon tritt und Senta einen biederen Herrn als Bräutigam präsentiert. Doch die sieht in ihm nur ihren Traum-Holländer, der prompt wieder hinter dem Gemälde auftaucht und mit dem sie in ihrem Wahn die Ehe einzugehen glaubt. Doch die Hochzeit artet durch Dalands Angestellte (Matrosen, Dienstmädchen) zur wilden Party aus , Alkohol fliesst reichlich und als der Holländer durch ein Missverständnis sich von Senta verraten glaubt, öffnet sich nocheinmal das Gemälde und die jetzt schon etwas ältere Senta (die auf dem Sofa nebst dem realen Ehemann kräftig einer Flasche zuspricht) erblickt den auf seinem Schiff abfahrenden Holländer und sich selbst als Doubel, das ihn zurückzuhalten versucht. In ihrem Schmerz verwirren sich Realität und Fiktion total: mit einem Messer tötet sie erst ihren (realen) Ehemann und dann sich selbst.
Auf unterschiedlichen Ebenen erzählen Regisseur Philipp Stölzl und sein Team die Geschichte der Wagner-Oper vom verfluchten, holländischen Seefahrer:  es sind die Wahnvostellungen einer Frau, die aus dem starren Korsett ihres bürgerlichen Milieus auszubrechen versucht, einer Büchernärrin, die Dichtung und Wahrheit verwechelt. Und zwar ihr Leben lang: vom jungen Teenager bis zur reifen Frau -  und das wegen dieser Realitätsblindheit tragisch enden muss.
Ob Richard Wagner dies auch so gesehn hat, mag dahin gestellt sein. Geschickt jedenfalls realisiert Stölzl diese Deutung: vor allem mit Hilfe der Doppelbühne, auf der Handlung und Personen (durch mehere Doubles und allerlei Komparsen) raffiniert zwischen dem Salon-Realismus des 19.Jahrhunderts und der phantasisch-romantischen Traumwelt changieren. Elegante Kostüme und wirkungsvolle Beleuchtung unterstützen die optische Oppulenz der Inszenierung, obwohl ihre Grundidee weder neu ist noch neue Einsichten fördert. Es ist vor allem eine theatralisch effektvolle Show.
Auch musikalisch kann sich diese Inszenierung, die vom Theater Basel übernommen wurde, hören lassen. Michael Volle triumphiert als grosser, schlanker Holländer mit warmem Bariton und vorbildlicher Text-Aussprache, die Schwedin Emma Vetter verfügt als Senta über einen ebenen, gleichmässigen Sopran und überzeugendes Spiel-Talent, ebenso wie der als zurückgewiesener Liebhaber Erik eingesprungene Tenor Stephan Rügamer. Tobias Schabel ist ein eher zurückhaltender Daland mit weich-fliesendem Bass, Simone Schröder (Mary) ein resoluter Haus-Drachen im streng bürgerlichen Salon.
Die Chöre klingen gut, die auf der Bühne kaum sichtbar werdende Natur braust stürmisch im Orchester, und der in aller Welt gefragte Gastdirigent Daniel Harding (einst Assistent bei den Philharmonikern unter Abbado) hält alles mit kraftvollem Drive zusammen, gelegentlich ein wenig zu routiniert.
Ein Opern-Abend mit eigenwilligen, doch niemals provozierenden Akzenten, und dank seiner optisch-schicken Üppigkeit ein einhelliger Publikums-Erfolg
Foto: Matthias Baus/Deutsche Staatsoper
nächste Vorstellungen: 1./4./10./16./19./22.Mai 2013