Star-Vehikel: ‚Lucrezia Borgia‘ – konzertant in der Deutschen Oper****

Die slowakische Koloratursängerin Edita Gruberovà ist ein musikalisches Phänomen: obwohl bereits im  ‚Rentenalter‘ vermag sie noch immer in den grossen Rollen der Bellini oder Donizetti-Opern aufzutreten und – wie auch jetzt wieder in Berlin – das Publikum zu Jubelstürmen hinzureissen.
Es ist ihre fabelhafte Gesangstechnik und ihre langjährige Bühnenerfahrung, die ihr ermöglichen, souverän Mittelpunkt und Beherrscherin des musikalischen Geschehens zu sein. Die Koloraturen blitzen und perlen, die Mittellage wird ausdrucksstark eingesetzt und in den grossen Ensembles überstrahlt ihre klare Stimme mühelos die verschiedenen Partner, Chor und Orchester. In diesem Sinn ist die Gruberovà ein Stimm-Wunder. Doch sind die Schattenseiten nicht mehr zu überhören: die Tiefe bleibt flach, die Höhen neigen im Forte zur Schärfe, die ursprüngliche Elastizität und Schönheit der Stimme sind brüchig – hier verlangt das menschliche Alter seinen Tribut , auch wenn die grossartige Technik ihrer Stimmführung weitgehend darüberhinweg zu täuschen vermag.
Noch beherrscht ihr Auftritt die Bühne, die diesmal in der Deutschen Oper zum Konzertsaal umfunktioniert ist: in der Mitte das Orchester, dahinter der Chor (wobei die Herren mehr zu singen haben als die Damen) und an der Rampe die Solisten.
Gaetano Donizettis selten gespielte „Lucrezia Borgia“ (1833 in Mailand uraufgeführt) basiert auf einem umgearbeiteten Schauerstück von Victor Hugo, in welchem der Herzog von Ferrara einen ihm unbekannten Sohn seiner zweiten Gemahlin Lucrezia Borgia umbringen lässt, weil er ihn fälschlicherweise für ihren Liebhaber hält. In dieser Fassung ist Lucrezia Borgia nicht die kalte Verführerin, sondern eine liebenden Mutter. Die Musik enthält zwar manch Formelhaftes oder Vorgestanztes, überrascht aber insgesamt durch zart-empfundene Melodien und temporeiche, mitreissende Ensembles.
Der Dirigent Andrjy Yurkevych (von Gruberovà als Gast mitgebracht) befeuert das Orchester und den vorzüglichen Chor der Deutschen Oper zu spannungsgeladenem Musizieren, nur gelegentlich lässt er die Lautstärke zu stark anschwellen und so die Solisten übertönen. Neben der die Aufführung dominierenden Gruberovà, die in einem rostroten Abendkleid mit Gold-Applikation auftritt, sind es zwei noch junge, aber schon zu internationalem Ruhm gekommene Männer die begeistern: der Slovake Pavol Breslik mit geschmeidigem, lyrisch timbriertem Tenor und der Italiener Alex Esposito, ein kerniger, eher hochgelagerter Bass, dessen tiefen Tönen noch ein bisschen die Fülle fehlt. Das Haus-Ensemble-Mitglied Jana Kurucovà kann als geläufiger Mezzosopran in einer kleineren Hosenrolle bestens mithalten.
Die italienischen Opern der Belcanto-Zeit sind überwiegend Stimmfeste: so auch diese „Lucrezia Borgia“ mit der immer noch erstaunlichen Edita Gruberovà – eine szenische Realisierung hat deshalb wohl keiner vermisst.

Foto:Deutsche Oper Berlin/Bernd Uhlig

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