Leicht überkandidelt: ‚Ball im Savoy‘ in der Komischen Oper***

Berlin, Dezember 1932, erfolgreiche Premiere der Operette „Ball im Savoy“ des ungarisch-jüdischen Komponisten Paul Abraham. Die neuen Jazz-Klänge elektrisieren, der frivole Dialog-Witz triumphiert : Höhe- und Endpunkt der (kulturell) ‚goldenen‘ Zwanziger Jahre, denn ein paar Monate später fliehen Komponist und Darsteller vor den Nazis ins Exil oder den Tod.
Der Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, versucht mit seiner ausladenden Neu-Inszenierung einem, wie er meint, Meisterwerk seiner Gattung – das im Dritten Reich verboten, in der Bundesrepublik ins Bieder-Sentimentale verwässert wurde -  endlich theatralische Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.
Die Story ist eine freche Komödie, ein ins mondäne Nizza der frühen 1930er Jahre verlegter „Fledermaus“-Verschnitt. Der reiche Ehemann besucht heimlich den Ball im Savoy-Hotel zu einem Stelldichein mit einer Verflossenen, die clevere Gattin erscheint maskiert ebenfalls, rächt sich durch ein angebliches Rendezvous, doch am Ende bleibt alles beim Alten. Umrankt wird dieses erotische Verwirrspiel durch ein entsprchendes Buffo-Paar: sie ist eine – unter männlichem Pseudonym – erfolgreiche, amerikanische Komponistin, er ein erotischer Vielfrass und zynischer Weltbürger, in diesem Fall ein ‚türkischer‘ Diplomat, da ‚jüdische‘ Figuren auf der Bühne damals schon unerwünscht waren.
Die Partitur ist nach der Original-Handschrift neu bearbeitet, das jazzige Klangbild farbig rekonstruiert -  und wird vom Orchester der Komischen Oper unter der anfeuernden Leitung von Adam Benzwi fetzig gespielt. Chorsolisten und Tänzer hotten und steppen temperamentvoll über die schlicht ausgestattete Bühne – ein paar verschiebbare Revue-Treppchen, viel dunkel-wallende Vorhänge – und die Kostüme changieren reizvoll zwischen Glitzer-Fummeln, Smoking, weisser Herrenunterwäsche und Nackt-Trikots. Dem seitensprung-süchtigen Ehemann verleiht Christoph Späth die nötige stimmliche und körperliche Beweglichkeit, Dagmar Manzel glänzt als scheinbar betrogene Gattin vor allem in den komödiantischen Szenen, Helmut Baumann vermag mit Charme die heute doch sehr sexistisch wirkenden Witze und Kalauer zu überspielen, doch den Vogel schiesst Katharine Mehling als quicklebendige Amerikanierin ab, die nicht nur alle Arten des neuen Jazz-Gesangs ausspielen kann, sogar „akrobatisches Big-Band-Jodeln“, sondern auch tänzerisch-beweglich eine mitreissende Figur macht.
Tempo, Tempo hiess das Motto der damaligen Zeit und Regisseur Barrie Kosky versucht es noch zu übertreffen – über drei Stunden wechseln sich in rasender Abfolge Gesangs- und Revue-Nummern unerbittlich ab – Ruhepunkte gibt es kaum, und so stellt sich statt abwechslungsreichem Tempo sterile Hektik ein. Das Geschehen ist kunterbunt, lässt aber kalt. Erst im letzten Teil gibt es auch ein paar melancholische Momente: etwa wenn das Diener-Paar in einem berührenden Duett sich an seine Vergangenheit in Wien erinnert – in jiddischer Sprache, oder wenn die scheinbar betrogene Gattin ihre immer noch vorhandenen Liebes-Gefühlen nicht wahrhaben will und zu bekämpfen versucht.
Bewegend auch der raffiniert inszenierte Schluss: nachdem das gesamte Ensemble sich verbeugt und den starken und herzlichen Applaus des Publikums entgegengenommen hat, verabschieden sich die Künstler mit dem (nur vom Klavier begleiteten) leise vorgetragenen Lied: „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände, Good Night, Good Night, Good Night“. Berührender kann man Paul Abraham’s nicht gedenken.

Foto: Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 15./18./21./23./26.Juni/ 3.Juli 2013