Alles Theater?: ‚Ihr werdet euch noch wundern‘ von Alain Resnais****

Eine prominente Schar französischer Schauspieler, darunter Sabine Azéma, Michel Piccoli, Lambert Wilson, Pierre Arditi (die alle sich selbst spielen), versammelt sich auf dem pompösen Landsitz eines ehemaligen Regisseurs und Freundes zu dessen Trauerfeier und Begräbnis. Doch zunächst bittet der Verstorbene in einer Videobotschaft die versammelten Mimen, sich die filmischen Aufzeichnungen von Proben seines Stückes „Eurydike“ durch eine junge Theatergruppe anzuschauen und danach zu entscheiden, ob den jungen Leuten das Aufführungsrecht gestattet wird. Da alle versammelten Schauspieler mit diesem Stück einst selbst erfolgreich waren, steigen sie beim Zuschauen – zunächst unbewusst – in die jeweiligen Rollen wieder ein, sprechen den Text erst leise, dann immer lauter mit, bis sich unmerklich Realität und Erinnerung vermischen: der Salon, in dem sie sitzen, verwandelt sich in die Gaststätte, in der Orpheus seine Eurydike kennen- und lieben lernte, in den Bahnhof, auf dem sie ihn heimlich verliess und dann verunglückte, in die Gaststätte, in der ein junger Mann im Regenmantel sich als Gevatter Tod vorstellte, Eurydike aus der „Hölle“ zurückholte und Orpheus sie im heftigen Wort-Streit zum zweiten Mal verliert. Nach dem Ende der von den Schauspielern parallel mitgespielen Video-Vorführung erscheint zu aller Überraschung der totgeglaubte Hausherr und Regisseur – quicklebendig hat er die Freunde aus einem Nebenzimmer beobachtet. Doch dann nimmt die Story eine ungeahnte Wendung…
Alain Resnais, heute 91 Jahre alt, revolutionierte in den 1960er Jahren die Kino-Ästhetik mit Filmen wie „Hiroshima, mon amour“ oder „Letztes Jahr in Marienbad“. Die kunstvolle Künstlichkeit dieser Werke entwickelte er in den neueren Filmen vor allem durch die Einbeziehung des Theaters und seiner Kulissenwelt weiter. Auch „Ihr werdet euch noch wundern“ (im Original: „Vous n’avez encore rien vu“) changiert zwischen Film und Bühne – basierend auf zwei Stücken des einst vielgespielten Dramatikers Jean Anouilh, dessen Markenzeichen vor allem geschliffene Dialoge sind, in denen sich der damalige Zeitgeist elegant zur Geltung bringt. Und die heute in ihrer Mischung aus poetischen und psychologischen Metaphern doch etwas langweilen.
Renais versteht es brilliant, die Theater-Sprache in filmischen Klang, die gemalten Kulissen in phantasievolle Räume zu verwandeln. Eine sehr bewegliche Kamera, sich stängig änderndes Licht, untermalende Musik-Motive, Kreisblenden oder geteilte Leinwände sind die filmischen Mittel, das verwirrende und zugleich zauberhaft-gleitende Wechseln in die unterschiedlichen Realitäts-Ebenen ist die grosse Kunst des Regisseurs, der dann durch die grosse Persönlichkeit der wunderbaren Schauspieler-Stars und ihrem sanft ironischen Charme die Krone aufgesetzt wird.
Witz und Alterweisheit, Leichtigkeit und Eleganz – französicher kann ein Film kaum sein.
 Aber Vorsicht! Nur für Theater-Fans und Cinéphile!

Poster/ Verleih: Alamode-Film

zu sehen: Babylon Mitte (OmU); fsk (OmU)