Pariser Parfüm: Massenet’s ‚Esclarmonde‘ in Dessau***

Erstaunlich, 123 Jahre nach ihrer Uraufführung 1889 an der Pariser Opéra-Comique erlebt ein Werk des Erfolgskomponisten Jules Massenet seine deutsche Erstaufführung – am von heftigen Einsparmaßnahmen bedrohten Anhaltischen Theater Dessau. Ein turbulentes Ritter-Spektakel voll elegant aufrauschender Musik – eine Art Blockbuster der Opernliteratur. Eine byzantinische Kaisertochter, ein französischer Ritter, Liebe und Eifersucht, ein böser Bischhof und Folterknechte, aber auch Hexen und Zauberkräfte und ein strahlendes Happy-End, das allerdings vom Regisseur Roman Hovenbitzer in der allerletzten Bühnen-Minute in eine Tragödie umgebogen wird – szenisch verstolpert, musikalisch ausser Tritt.
Sei’s drum, davor wird drei Stunden lang ein konventioneller, aber kunterbunter Bilderbogen aufgeschlagen; posiert der byzantinische Kaiser auf einem Riesensockel unter hoher Kuppel, gleiten Kaisertochter Esclarmonde und ihr silberner Ritter im schmalen Boot auf eine verwunschene Insel, füllen Ritterspiele und Feste den französischen Königshof oder finden sich am Ende die getrennten Liebenden in einem von Geister beherrschten, magischen Zauber-Wald wieder.
Die Bühne leuchtet in kräftigen Farben, Kostüme und Perücken changieren halb historisch, halb Fantasy zwischen byzantinischer Exotik, dunklen Kutten und modischem Party-Look.
Doch was wäre dies alles ohne die Musik:  Massenet’s schwelgerische Musiksprache hat von ihrem betörenden Duft nur wenig eingebüsst, auch wenn statt musikalischer Ohrwürmer fein ziselierte Koloraturen, delikate Ensembles und klangmächtige Chöre vorherrschen; mehr glänzend schillernde Oberfläche als psychologische Tiefe.
Das Orchester unter der engagierten Leitung seines Ersten Kapellmeisters Daniel Carlberg lässt Massenet’s Musik einerseits farbmächtig auf- und abschwellen,  begleitet andererseits sehr aufmerksam und delikat ein homogenes Sängerensemble. Als titelgebende Esclarmonde meistert die holländische Sopranistin Angelina Ruzzafante souverän die heiklen Anforderungen der koloraturgespickten Partie, auch wenn ihre Stimme gelegentlich zum Grellen neigt. Der Koreaner Sung-Kyu Park verkörpert den von ihr geliebten Ritter – nicht immer geschmeidig – mit hellem, aber kraftvollem Tenor, besonders überzeugend in der Folterszene am französischen Hof. Von den übrigen Solisten ragt Rita Kapfhammer als Esclarmondes Schwester durch ihren vollen, runden Mezzosopran hervor. Der vielfach beschäftigte Chor, verstärkt durch Kinder- und Extra-Chöre, klingt machtvoll und prächtig.
Eine schöne Entdeckung, diese französisch-parfümierte „Esclarmonde“ – kein Wunder, dass so viele Berliner Opernfans im Publikum zu entdecken waren!

Foto: Anhaltisches Theater Dessau

Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit: 1.Dezember 2013 / in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln