Solide: ‚Nabucco‘ in der Deutschen Oper Berlin***

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Chor der gefangenen Hebräer aus Verdis früher Oper über den wahnsinnig werdenden, babylonischen Herrscher Nebukatnezar: „Va, pensiero, sull’ali dorate“ (gebräuchliche deutsche Übertragung: ‚Flieg Gedanke, von Sehnsucht getragen‘)?
Die Popularität dieser grandiosen Chor-Nummer sichert dem ansonsten etwas kruden Musikdrama seine dauerhafte Präsenz auf den Bühnen der Welt – seit seiner triumphalen Uraufführung an der Mailänder Scala im März 1842. Verdi war damals ein noch relativ unbekannter Komponist, dem der dortige Impressario ein von anderen bereits abgelehntes Textbuch zu Vertonung überliess – und Verdi nutzte seine Chance.
Die recht unwahrscheinliche Story mischt biblische Geschichte mit allgemein-menschlichen und politischen Motiven, zeigt wie der Tempel in Jerusalem zerstört und die Juden in babylonische Gefangenschaft geraten, führt den Machtkampf der ehrgeizigen Nabucco-Tochter Abigail um dessen Thron vor und lässt schliesslich den fast irre gewordenene König Babylons sich zum jüdischen Glauben bekennen und die versklavten Hebräer in ihre Heimat zurückkehren. Dazu noch ein kleines Liebes- und Eifersuchsdrama – auch hier mit glücklichem Ausgang.
Verdis Musik besitzt noch nicht die (spätere) Sensibilität in der Schilderung menschlicher Emotionen, aber sie hat viel dramatische Kraft und melodiöse Energie. Es sind vor allem die grossen Chor-Ensembles, die das Geschehen beherrschen, denen gegenüber die solistischen Nummern (Arien, Duette) zurücktreten und die eher sparsam gesetzte Ruhepunkte im ereignisreichen, gesamt-szenischen Ablauf sind.
Der renommierte britische Regisseur Keith Warner setzt in seiner Inszenierung für die Deutsche Oper auf gediegene Moderne – so wie sie hier zu Zeiten Götz Friedrichs gepflegt wurde. Auf dunkler Drehbühne werden immer wieder Kulissenteile rein und raus gefahren – eine steile Wendeltreppe oder ein hoher, begehbarer Kasten, gleichsam Tempel oder Haus. Alle tragen Kostüme der Verdi-Zeit, weit-schwingende Reifröcke die Frauen, dunkle Gehröcke die Juden, helle, uniform-ähnliche die Babylonier. Spruchbänder und – auf einer hübschen, alten Druckmaschine erstellte -  Plakate symbolisieren Auflehnung und Widerstand der Juden, Scherengitter und Gewehre die militärische Macht der Babylonier. Effektvoll arrangiert sind die zahlreichen, unterschiedlichsten Auf- und Abgänge des Chores.
Dieser – von William Spaulding perfekt einstudierte – Chor steht auch musikalisch ganz im Mittelpunkt des Abends – vom hauchzarten Piano bis zum wuchtigen Forte vermag er alle erfoderlichen Emotionen überzeugend und klangvoll zu gestalten. Eine prachtvolle Leistung!
In der Titelrolle des Nabucco macht der dänische Bariton Johan Reuter darstellerisch wie stimmlich gute Figur, besitzt aber nicht die enorme Durchschlagskraft seiner Bühnen-Partner. Besonders Anna Smirnowa als Gift und Galle speiende Abigail beeindruckt durch ihren koloraturgespickten Furor, während Vitallj Kowaljow die Autorität des jüdischen Oberpriesters Zaccaria mittels seines tiefen Basses machtvoll hörbar werden lässt. Das hebräisch-babylonische Liebespaar ist durch Jana Kurucova (Fenena) und Yosep Kang (Ismail) mit strahlenden Stimmen bestens besetzt.
Am Dirigentenpult: der noch sehr junge, aber international aufstrebende Italiener Andrea Battistoni – zupackend und aufs Tempo drückend leitet er das gut disponierte Orchester der Deutschen Oper – allerdings (noch?) ohne persönliche Note.
„Nabucco“ – zum Verdi-Jahr in der Deutschen Oper neu präsentiert, sicherlich kein Höhepunkt, aber ein solider Abend fürs alltägliche Repertoire.
Foto: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 15.Sep.//3./5./8./13.Okt./19./22.Dez.2013 (teils unterschiedliche Besetzung)