Gefährliche (Sex-)Spiele: ‚Der Fremde am See‘ von Alain Guiraudie****

Südfrankreich. Hochsommer. Ein abgelegener, türkisfarbener See in einem Waldgebiet. Nackte Männer am hellen Kiesstrand. Sie sonnen, schwimmen oder langweilen sich, haben schnellen Sex im dahinterliegenden Wald. Franck (Pierre Deladonchamps), ein junger Mann, der täglich hierherkommt, lernt Henri (Patrick d’Assumcao) kennen, einen immer abseits sitzenden, etwas dicklichen Sonderling, der offensichtlich am sexuellen Treiben kein Interesse hat – stattdessen führen die beiden freundliche Gespräche. Francks erotischer Blick richtet sich dagegen auf den typischen Schwulen-Schönling Michel (Christophe Paou); doch muss er eines Abends beobachten, wie dieser einen Freund beim Schwimmen umbringt. Franck schwankt zwischen Entsetzen und Begehren, als am Tag darauf Michel ihn anmacht. Auch als die Leiche entdeckt wird und ein Polizei-Inspektor Nachforschungen aufnimmt, verrät Frank nichts. Aber die zunächst so heitere Atmosphäre am See beginnt zu kippen: die Polizei scheint mehr zu wissen, als Franck lieb ist, und auch der scheinbar unbeteiligte Henri macht seltsame Bemerkungen…
Dem französischen Regisseur Alain Guiraudie ist ein kleiner, raffinierter Thriller gelungen, der psychologisch Untergründiges in schönen, heiteren Bilder sichtbar werden lässt. Der Film konzentriert sich ausschliesslich auf einen einzigen Ort – den Strand am See und das dahinterliegende Wäldchen. Es gibt keine dramatisierend unterlegte Musik, nur das Rauchen des Windes, Vogelschreie, das Plätschern der Wellen oder – einmal – das laute Geräusch des die Leiche suchenden Helicopters; sonst nur das Plaudern der Männer am Strand oder ihr leises Stöhnen beim Sex. Erzählt wird die Geschichte  in langsamen und ruhigen Bildern, die sich im Verlauf des Films ziemlich verdüstern – vom sonnenüberflutenden Bade-Idyll des Beginns bis zum tragischen Ende in nachtsschwarzer Finsterniss. Dabei wechseln immer wieder (und fast unmerklich) distanziert beschreibende, objektive Bild-Sequenzen mit einem sujekiven Kamera-Blick, der zeigt, wie Franck das Geschehen erlebt – seien es die breit ausgespielten Sex-Szenen, Natur-Aufnahmen oder die sich plötzlich rasch entwickelnden, dramatischen Geschehnisse. Der Schwachpunkt des Films ist allein die Schluss-Lösung des Krimi-Plots mit ihren unerwarteten Doppel-Morden – hier wirkt das Psycho-Drama über sexuelle Gier und tödliche Gewalt überzogen und reichlich konstruiert. Und auch der ‚offene‘ Schluss bleibt deshalb dramaturgisch unbefriedigend.
Dennoch – von diesen letzten 10 Minuten abgesehen – ist dieser „Fremde am See“ ein intelligent  inszenierter  und spannender Psycho-Krimi  – auch wenn er in einem für den Durchschnitts-Kinogänger etwas absonderlichen Milieu angesiedelt ist.

Foto/Poster: Alamode Film Verleih

zu sehen: Cinema Paris (OmU); International (OmU); Neues Off (OmU); Odeon (OmU); Filmtheater am Friedrichshain; Kant-Kino; Yorck-Kino