Russland sucht den Superstar: ‚Die Zarenbraut‘ in der Staatsoper (im Schillertheater)****

Nikolai Rimsky-Korsakow’s Oper „Die Zarenbraut“, 1899 in Moskau uraufgeführt, ist ein ausladender Historien-Schinken. Dieser erzählt wie Zar ‚Iwan der Schreckliche‘ (1530-1584) sich Hunderte von jungen Mädchen vorführen liess, um eine adäquate Braut zu finden und verknüpft diesen historischen Hintergrund mit einem tödlich endenden Liebes- und Eifersuchtsdrama um die auserwählte junge Frau namens Marfa. Musik-dramatugisch greift der Klang-Magier Rimsky-Korsakow dabei auf  alt-bewährte Formen zurück: wohlklingende Arien und Duette sowie ausschweifende, wenn auch durchaus dramatische Ensembles.
Im Westen wird dieses typisch russische Werk nur selten gespielt, und deshalb ist es sehr verdienstvoll, wenn Daniel Barenboim mit dieser gleichsam unbekannten Oper seine diesjährige Spielplan-Saison eröffnet – allerdings abgesichert als Ko-Produktion mit der Mailänder Scala, wo die „Zarenbraut“ in der gleichen Sänger-Besetzung im kommenden Fühjahr gezeigt werden wird.
Als Regisseur wurde Dmitri Tscherniakov verpflichtet, der bereits Mussorgsky’s „Boris Godunov“ und Prokofjev’s „Spieler“ zusammen mit Barenboim – jeweils erfolgreich in modernem Gewand – an der Lindenoper herausgebracht hat. Auch die „Zarenbraut“ versetzt Tscherniakov, der wie immer sein eigener Bühnenbildner ist, in heutige Zeiten. In einem TV-Studio (mit vom ZDF ausgeliehenen Schaltpulten und Video-Wänden) präsentieren sich die hübschen, jungen Frauen wie modisch gestylte Models der Kamera als Traumfrau für den grossen Herrscher. Doch diesen – so die ironische Regie-Pointe – gibt es gar nicht: er ist nur eine raffiniert-gescannte Bildschirm-Figur, die lediglich in unterschiedlichen Haltungen und Kleidern virtuell existiert.
Der zweite Schauplatz ist die bühnenbreite Wand eines Hauses mit einem riesigen Bogen-Fenster: durch dieses erblickt man den etwas spiessigen Wohnraum der Familie der Zarenbraut Marfa mit weissen Plüsch-Sesseln und Flachbild-TV. Hier flirtet der Backfisch Marfa mit dem netten Verlobten Lykow, versucht der ältere TV-Redakteur Grjasnoj sie für sich zu gewinnen, während vor dem Fenster dessen eifersüchtige Geliebte Ljubascha auf Rache sinnt. Am Schluss stirbt Mafra, die zur echten Braut des virtuellen ‚Führers‘ erwählt wurde, vergiftet von Ljubascha bei Aufnahmen in der Green-Box des Fernseh-Studios – doch letztes Bild bleibt die Gross-Aufnahme ihres lächelnden Gesichtes.
Regisseur Tscherniakov versucht auf diese Weise den kritischen Spagat zwischen einerseits einer Medien- und Polit-Satire, und anderseits einer realistisch gezeichneten, menschlichen Liebestragödie. Doch ganz geht die Absicht nicht auf: Groteske und Gefühlsdrama wollen sich nicht verbinden, zumal auch die konventionell gestaltete Musik hierbei wenig hilft (im Gegensatz beispielsweise zum ironischen angelegten „Goldenen Hahn“).
Daniel Barenboim und seine Staatskapelle haben – am Premierenabend -  zu Beginn einige Mühe mit der reich instrumentierten Partitur, erst im Verlauf des Abends gewinnt die Musik Farbe, Spannung und – gelegentlich – expressive Schärfe. Hervorragend das bestens gecastete Solisten-Ensemble: die international aufstrebende Russin Olga Peretyatko (Marfa) mit leichtem, klarem Sopran, die Georgierin Anita Rachvelishvili (Ljubascha) mit üppig-vollem Mezzo (wenn auch gelegentlich zu laut), Johannes Martin Kränzle als bariton-mächtiger, abgewissener Liebhaber sowie der tschechische Tenor Pavel Cernoch als wohltönender Verlobter. Dazu in kleineren Rollen altbewährte, immer noch glänzende Stars: Anatoli Kotscherga (Abbados ‚Boris Godunow‘), ein echt-russischer, tiefer Bass oder Anna Tomowa-Sintow, einst Karajans bevorzugte Primadonna, jetzt immer noch bühnenpräsent (und ein bisschen wackelig auf den Beinen) als betulich-elegantes Mütterchen.
Insgesamt ein hochinteressanter Abend – auch wenn Werk und Inszenierung einige Fragen oder Wünsche offen lassen.

Foto:Monika Rittershaus/Staatsoper im Schillertheater

nächste Vorstellungen:8./13./19./25.Oktober/1.Nov 2013