Flüchtlingselend und Menschenschmuggel: ‚Carmen‘ im Staatstheater Cottbus***

Am Beginn schwarz-weisse Video-Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten in einem südlichen Hafen; dann auf der realen Bühne Frauen in schwarzen Burkas, Soldaten – das Maschinengewehr im Anschlag – Fabrikarbeiterinnen in Kittelschürzen : Bizets romantische Tragödie vor aktueller Kulisse. Zwar starrt Don Jose zunächst auf seinen Laptop, doch bald wird er ganz konventionell von Carmen ‚angemacht‘ und das bekannte Drama nimmt seinen Lauf. Im zweiten Akt bedienen Carmen und ihre Freundinnen in greller Folklore-Ausstattung die Männer in einer modisch-kühlen Bar, im dritten werden statt Waren verhuschte Menschen in und aus grauen Containern geschmuggelt, und im vierten und letzten Akt räkeln sich Carmen und der etwas füllige Toreador Escamillo im Lotterbett, während der Chor (in Abendgarderobe) von den Balkon-Logen des Prozeniums den Stierkampf, der offensichtlich hinter Bett und Bühne stattfindet, lautstark kommentiert.
Kurz: Carmen hat ein modisches Mäntelchen bekommen, aber darunter lockt, liebt und eifersüchelt es wie eh und je, mit feurigen Blicken, ausgestreckten Sänger-Armen und angedeuteden Flamenco-Schritten – auch wenn statt der Kastagnetten nur ein paar zerbrochenen Tellerscheiben benutzt werden dürfen. Matthias Oldag’s Regie und Ausstattung bleibt eine Mogelpackung – weder romantische Oper noch aktuelles Drama.
Darunter leiden auch die Sänger, müssen unter Umständen sogar – wie die beiden Zigeuner-Anführer – durch modisch-übertriebenes Out-Fit als lachhafte Karikaturen agieren. Im Mittelpunkt die Carmen der Marlene Lichtenberg: hübsche Figur, dramatisch-satter Mezzo, aber ohne die erotische Faszination, die sie auf Männer ausübt, nachvollziehbar machen zu können. Ein auch stimmlich attraktiver Don Jose ist der allseits bewährte Jens Klaus Wilde, am Schluss jedoch übertreibt er sein Eifersuchts-Spiel ins Groteske (hier hätte der Regisseur mässigend eingreifen müssen). Gesine Forberger als Micaela verkörpert eine sehr selbstbewusste junge Frau, die mit Roll-Koffer an – und bei dem tristen Spektakel, das sich ihr bietet, wahrscheinlich auch bald wieder abreist. Escamillo (James Roser als Gast) bleibt blass.
Lob aber verdienen Chöre und Orchester, die unter der zügigen Leitung von Marc Niemann, Bizet’s populäre Melodien effektvoll und klangschön ausmusizieren – und ganz ohne modische Mäzchen!
Gesungen in deutscher Sprache (nach der Übersetzung von Walter Felsenstein).

Foto: Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

Premiere war am 11.Okt./weitere Vorstellungen: 13.Okt./ 6.Nov./ 5.u. 25.Dez.2013/ 19.Jan.2014