Gelungenes Heimspiel: ‚Sacre‘ von Sasha Waltz in der Staatsoper im Schillertheater****

Tosender Beifall, stehende Ovationen am Ende des anderthalb-stündigen Abends – die Berliner Kultur-Begeisterten haben ein neues Traumpaar gefunden: Sasha Waltz und Daniel Barenboim. (Richard Wagners Musikdrama „Tannhäuser“ soll als weitere gemeinsame Arbeit im April nächsten Jahres folgen.)
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ (UA: 29.Mai 1913 in Paris) hat die Berliner Choreographin erstmals das legendäre Stück inszeniert, zunächst auf Einladung von Valery Gergiev für die Truppe des Mariinsky-Theaters in St.Petersburg. Nach Vorstellungen in Paris und Brüssel erfolgt nun die Premiere in Berlin, jetzt getanzt von der eigenen Truppe und ergänzt um zwei kurze Choreographien zu Musik von Debussy und Berlioz, die dem „Sacre“ vorgeschaltet werden. Ob eine solche Ergänzung zu einem dreiteiligen Theater-Abend glücklich oder notwendig (Kasse!) ist, mag dahingestellt sein.
Im „Nachmittag eines Fauns“(Debussy) wiegen sich in äusserst langsamen, schlingernden Bewegungen 13 Tänzerinnen und Tänzer in knappen Trikots vor einer in kräftigen Farben abstrakt bemalten Wand – gefällig anzusehen, aber die Zuschauer auch etwas ratlos zurücklassend. Danach die „Scene d´amour“ aus Berlioz dramatischer Symphonie „Romeo et Juliette“, die Sasha Waltz 2007 für die Pariser Oper erarbeitet hat: ein elegischer, lyrischer Pas-de-deux, fast im Stil eines klassischen Balletts -  in Berlin von zwei Solisten der Mailänder Scala (Emmanuela Montanari und Antonino Sutera) elegant präsentiert: ein hübsches ‚Hors d´Oeuvre‘, das jedoch nicht richtig satt macht, obwohl Daniel Barenboim mit der klangschön spielenden Staatskapelle beide Werke äusserst delikat musiziert.
Nach der Pause dann der grosse Kontrast : Strawinskys „Frühlingsopfer“. Dabei legt Sasha Waltz den Schwerpunkt auf das „Opfer“, und zwar während des gesamten Stücks, den „Frühling“ – also die Natur-Kräfte – deutet sie lediglich als düsteren Hintergrund an. Die Bühne ist ein schmuckloser, schwarzer Raum, von diversen Scheinwerfern in unterschiedlichen und wechselnden Lichtstärken beleuchtet. 28 Tänzerinnen und Tänzer verschiedenen Alters – darunter auch die beiden eigenen, halberwachsenen Kinder der Choreographin – ballen sich immer wieder zu Gruppen in unterschiedlicher Stärke; Gruppen, die einzelne Personen brutal ausstossen oder (tödlich?) umschliessen. Die Frauen tragen schmale, hochgeschlitze Etui-Kleider, die Männer lange Hosen – alles zunächst in blassen, gedeckten Farben – erst gegen Ende ziehen einige Tänzer purpur-violette Mäntel über. Entsprechend der von Barenboim oft grell ausgespielten Musik (Blechbläser!) hasten, springen, hechten die Tänzer in immer neuen Formationen über die Bühne, steigern sich in einen Bewegungs-Rausch hinein, ächzen, stöhnen laut vernehmlich – ein wildes, düster-archaisches Ritual, das im Opfer einer einzelnen, fast nackten Frau endet, die sich zu Tode tanzt, während die Masse bewegungslos im Hintergrund zuschaut.
Sasha Waltz zeigt in ihrer ‚Sacre‘-Inszenierung eigentlich nichts radikal Neues, sie formt aber aus den seit der Uraufführung des Werkes entstandenen Interpretations-Ideen und Bewegungs-Erfindungen eine sehr eigenwillige und in sich geschlossene Darstellung, voll energetischer Spannung und schier platzend vor abstahlender Kraft. Mit diesem „Sacre“ gelingt Sasha Waltz ein überzeugendes, zeitgenössisches Tanz-Drama – perfektioniert wahrscheinlich durch die enge, fast symbiotische Zusammenarbeit mit den eigenen Tänzern.

Foto: Bernd Uhlig/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellung: 02. Nov. 2013 (ausverkauft); weitere Vorstellungen im Nov. 2014