Verletzte Bilder, versehrte Gefühle: ‚Cosi fan tutte‘ in der Komischen Oper Berlin***

Die offene Bühne stellt ein modernes, helles Werkstatts-Büro dar, in dem Rokoko-Bilder restauriert werden. Rechts und links der Proszeniumslogen pinseln Restauratoren den ganzen Abend über an zwei riesigen Fragonard-Leinwänden. In der Mitte – vor einer hohen Video-Wand, auf der ebenfalls Rokoko-Gemälde als endlose Slide-Show zu sehen sind – thront der Boss der Institution, ein smarter Grau-Kopf namens Alfonso (Tom Erik Lie). An diversen Bildern arbeiten weitere Restauratoren in weissen Arbeitskitteln – wie sich rasch herausstellt zwei miteinander verbandelte Liebespaare: Fiordiligi (Nicole Chevalier) und Guglielmo (Dominik Köninger), Dorabella (Theresa Kronthaler) und Ferrando (Ales Briscein). In einer Arbeitspause, während der die Damen sich frisch machen, kommt es zur Wette über Treue oder Untreue des weiblichen Geschlechts und das bekannte Spiel beginnt. Die beiden Herren werden abberufen und kehren nach dem wunderbaren Terzett von den sanften Winden, die die Reisenden begleiten sollen, in Verkleidung zurück: als Rokoko-Kavaliere, die den verwirrten Restauratorinnen stürmisch und in italienischer Sprache – sonst wird deutsch gesungen – den Hof machen. Süffisant unterstützt vom Chef Alfonso und der Putzfrau Despina (Mirka Wagner), einer resoluten, hochschwangeren Blondine in blauer Kittelschürze und gelben Gummihandschuhen. Nachdem die mit modischen Hornbrillen bewaffneten Damen im ersten Finale die Attacke der Kavaliere noch forsch abgeschlagen haben, schlüpfen sie zu Beginn des zweiten Aktes selbst in elegante Rokoko-Kleider, werden allmählich schwach – im Video-Hintergrund gespiegelt von Details erotischer Gemälde. Am Schluss kommt es – wie in allen „Cosi“-Inszenierungen der letzten 30 Jahre -  nicht zum glücklichen, sondern zum tragisch getönten Ende:  die einen fliehen, die anderen starren vereinsamt vor sich hin  – und bei Putze Despina setzen die Wehen ein…
Der renommierte, lettische Theater-Regisseur Alvis Hermanis, der ins Opernfach wechseln will, hat die Idee der optischen Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit bereits vor einiger Zeit in der Schaubühne an Puschkins „Eugen Onegin“ durchexerziert – mit mässigem Erfolg. Auch Mozarts Oper profitiert nur bedingt von diesem Grundeinfall, unsere heutige Zeit mit der des ausgehenden 18.Jahrunderts spannungsvoll und erkenntnisreich zu kontrastieren. Die Idee funktioniert eher im Schauwert der üppig-eleganten, Gemälde kopierenden Ausstattung (Bühne: Uta Gruber-Gallher, Kostüme: Eva Dessecker), als dass sie die unterschiedlichen Gefühlswelten der handelnden Personen dadurch einsichtiger oder verständlicher macht. Mozarts kunstvolle Balance zwischen Buffa und Tragödie, Empathie und Ironie missrät allzu rasch zu einer Mischung aus klamottiger Farce und bedeutungsheischendem Ideen-Theater. Es gibt manch hübsche Einzel-Einfälle, aber keinen Punkt, auf den sie zulaufen, oder sich zu einem vielschichtigen Ganzen fügen. Der Abend zerbröselt in schicker Langeweile.
Auch Generalmusikdirektor Henrik Nanasi und sein kraftvoll spielendes Orchester leiden darunter; zwischen betulich und forsch schwanken die Tempi, schöne Klangfarben ersticken unter undifferenzierter Dynamik. Mozarts Musik klingt über weite Strecke pauschal und konturlos, wird durch die Bühnenaktion immer wieder zu ausgedehnten Generalpausen gezwungen und gewinnt erst in den Finali einige Schärfe und Tempo.
Die darstellerisch sehr engagierten Sänger überzeugen vorwiegend in den Duetten, Terzetten und grossen Ensemble-Szenen, bei den Solo-Nummern bleiben manche Wünsche offen – was auch daran liegen mag, dass die Regie sie bei den Arien oft zu heftig überdrehten Aktionen zwingt.
Die neue „Cosi fan tutte“ in der Komischen Oper  -  eine Aufführung, die durchaus mit schönen Bildern und Tönen punkten kann, aber in ihrer ziellosen Unausgewogenheit – musikalisch wie szenisch – nicht überzeugt.

Foto:Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 09./15.Nov.//01./10./15./19.Dez.2013