Effektvolle Hysterie: „Der feurige Engel“ in der Komischen Oper***

1919 hat der russische Komponist Sergej Prokofjew während seines Amerika-Aufenthalts den symbolistischen Schauer-Roman „Der feurige Engel“ seines Landsmannes Waleri Brjussow entdeckt, eigenhändig zum Opern-Libretto umgearbeitet und in den 20er Jahren als expressiv-aufwühlendes Musik-Spektakel vertont. Zur ersten szenischen Aufführung kam es allerdings erst nach seinem Tod, 1955 durch Giorgio Strehler im Teatro La Fenice in Venedig.
In motorisch scharfen Rhythmen, kombiniert mit Puccini-süssen Melodie-Bögen wird das Porträt einer Hysterikerin im mittelalterlichen Köln gezeichnet: das Schicksal der noch jungen Renata, die als Kind sich in einen feurigen Engel verliebte, der später ihre sexuelle Annäherung zwar zurückwiess, aber versprach, eines Tages in menschlicher Gestalt wiederzukehren. In Ritter Heinrich glaubt sie ihren Engel wieder zu erkennen, doch als Heinrich sie nach einiger Zeit verlässt, irrt Renata verzweifelt und orientierungslos umher. Sie trifft den aus dem Ausland zurückkommenden Ritter Ruprecht, der von ihr fasziniert ist und deshalb mit ihr zusammen nach dem „feurigen Engel“ forscht  – in Tavernen und Gelehrtenstuben, und dabei sogar auf den gealterten Faust und auf  Mephisto trifft. Am Ende flüchtet Renata in ein Kloster, wo sie für Unruhe unter den Nonnen sorgt und von einem Inquisitor zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wird.
An der Komischen Oper verzichtet der australische Regisseur Benedict Andrews auf jedes  historische Kolorit. Auf der dunklen Drehbühne werden laufend graue Stellwände hin- und hergeschoben und zu immer neuen, weiten oder engen Räumen gefügt, beleuchtet in grellem Rot, Grün oder Weiss. Renata ist ein Blondine in pinkfarbenem Puppen-Kleid, ihr Begleiter und Helfer Ruprecht trägt einen orange-braunen Anzug, auch die übrigen Personen erscheinen im modisch-aktuellen Outfit. Der Clou: Renata wie Rupprecht haben viele Doppelgänger, sogar die Bühnenarbeiter, die die Kulissenteile ständig rein-und raustragen, scheinen Kopien der beiden Hauptdarsteller. Die pinkfarbenen Renatas in allen Lebensaltern mögen ja psychologisch zu deuten sein, doch dem mit der Handlung nicht vertrauten Zuschauer erklären sie wenig. Es sind elegant fliessende Szenen, mal surreal, mal grotesk, bunte Bilderrätsel mit hübschen Lolitas, einer glitzernd-aufgeputzten Wahrsagerin, einem Teufel, der dem Kellner-Knaben den Arm ausreisst und verspeist, mit tanzenden Nonnen in gelben Kutten und einem Inquisitor, dem am Ende bunte Engels-Flügel wachsen. Kurz: ein effektheischendes, rotierendes Kaleidoskop, dessen eingewobene Symbole und Zeichen aber kaum zu entschlüsseln sind.
Seinen packenden Drive bekommt dieser expressive „Engel“ jedoch durch das in allen Gruppen kraftvoll spielende Orchester und seinen feurig-zupackenden Chef Henrik Nanasi. Hier dampft buchstäblich die oft grelle Musik. Leider auch oft viel zu laut. Neben den vorzüglichen Damen des Chores bewähren sich in vielen kleinen Nebenrollen die Sänger-Darsteller des hauseigenen Ensembles, darunter Christiane Oertel, Jens Larsen oder Christoph Späth, ergänzt durch einige Gäste wie dem Bariton Evez Abdulla aus Aserbaidschan, der die männliche Hauptrolle des Ruprecht überzeugend verkörpert. Tragender Mittelpunkt ist aber Renata – den Parforce-Akt dieser Partie bewältigte die Russin Svetlana Sozdateleva souverän – mit einem ausgeglichenen, dramatischen Sopran und einer sehr genauen, intensiven Darstellung dieser Hysterikerin. Chapeau!
Der zweisündige, pausenlose Abend, in russischer Sprache gesungen, fordert konzentrierte Aufmerksamkeit von Bühne und Publikum – sie war bei der Premiere in der Komischen Oper in hohem Maas vorhanden. Starker Applaus.

Foto: Iko Freese/drama-berlin.de / Komische Oper

nächste Vorstellungen: 23.Jan./ 2./16.Feb/ 2.März 2014