Der Tunnel-Blick: ‚The Wolf of Wall Street***

Der Film basiert auf der – im Gefängnis verfassten – Autobiographie des Bankers Jordan Belfort, der in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts durch betrügerische Machenschaften viele US-Bürger um Geld und Vermögen brachte, selbst aber dadurch gigantischen Reichtum anhäufte und ein Leben in luxuriösen Umgebungen vor allem mit Sex und Drogen führte. Bis die Überschätzung seiner Macht das FBI auf ihn aufmerksam werden lies, seine Betrügereien aufdeckte und ihn vor den Richter brachte, der ihn zur Gefängnisstrafe verurteilte  und sein Vermögen kassierte (mit dem dann zumindest ein Teil der Gläubiger befriedigt wurde).
Hollywood-Regisseur Martin Scorsese schildert in seinem dreistündigen Film diese „wahre Geschichte“ ausschliesslich aus dem Blickwinkel des Jordan Belfort – von Leonardo DiCaprio überzeugend und brillant verkörpert. Belfort spricht direkt in die Kamera, zum Publikum, und erzählt gleichsam im Rückblick seine Story. Wie er als junger Mann das Bankgeschäft in der Wall Street erlernt, dann aber – nach einer Pleite – arbeitslos wird und in einer dubiosen Klitsche unterkommt, die ausschliesslich Schrott-Papiere verhöckert. Durch seine brilliante rethorische Begabung, mühelos diese falschen Papiere an den Mann, an die Frau zu bringen, wird er bald zum Chef dieser Maklerfirma, die nicht in der Wall Street, sondern auf Long Island residiert – auch wenn Belfort selbst mit dem (von einem Magazin verbreiteten) Spitznamen „The Wolf of Wall Street“ geschickt Eigenwerbung betreibt.
Doch seine Lebensbeichte konzentriert sich (in Scorseses Film) nur nebenher auf die dubiosen Aktien-Manipulationen oder die finanz-wirtschaftlichen Machenschaften,  Belfort selbst sagt direkt in die Kamera, dass sich ja keiner dafür wirklich interessiere…
Deshalb erzählt er um so ausführlicher über sein privates Leben:  berichtet von seinen beiden missratenen Ehen, vom Erwerb teuerer Luxus-Wohnungen, Autos, den Jachten und  schildert besonders genüsslich eine schier unendliche Reihe ausschweifender Partys mit viel Sex und Drogen. Optisch ein tolles Bilder-Panorama: von atemberaubenden Luxus-Villen auf Long Island oder in Miami bis zum gierigen Ziehen von Kokain-Linien auf nackten Damen-Hintern.  Alles gesehen durch Bedforts eigene Augen – nur selten wird (genialer Regietrick!) seine Ezählung mit der Wirklichkeit konfrontiert – beispielsweise wenn er zunächst von einer nächtlichen Autofahrt unter starkem Drogeneinfluss erzählt, dann aber der Polizeibericht – als Film im Film – gezeigt wird : wie Belfort vollgedröhnt das Auto unter Umgehung aller Verkehrsregeln rücksichtslos zu Schrott und Asche fährt und nur durch Glück bei dieser wilden Fahrt nicht ums Leben kommt.
Und am Schluss fügt Scorsese noch einen kleinen, makabren Epilog an. Aus dem Gefängnis entlassen, tourt Belfort ungebrochen durch Australien und Neuseeland, um angehenden Aktien-Händlern, die ihn gläubig anstarren, die Tricks beizubringen, wie man allein durch geschickte Rethorik alles verkaufen kann…
Martin Scorseses gelingt ein filmisch brillantes Meisterwerk – und doch hinterlässt diese Selbstbiographie eines betrügerischen Aktien-Händlers, die gleichsam die grosse Finanzkrise vorwegnimmt, einen unbefriedigenden Nachgeschmack. Der Tunnel-Blick ermöglicht zwar die fulminanten Bilderfolge schier endloser Sex- und Drogen-Exzesse, aber er blendet doch Vieles aus, vor allem die Opfer. Auch das politische und sozial-gesellschaftliche Umfeld ist fast ausgespart -  zugunsten der überquellenden Szenen  von Konsum-Räuschen und Lebens-Gier.
Gerade dieser subjektive Blick mag Scorsese und sein Team  zu solch phantasievoller und brillanter, filmischer Umsetzung angeregt  haben, doch fragt sich der überrumpelte Zuschauer am Ende dann doch, ob er nun eine „wahre (autobiographische) Geschichte“ gesehen hat, oder bloss die gängigen Klischees eines schlichten Groschen-Romans.

Foto/Poster: Universal Picture Germany

zu sehen: Central Hackescher Markt (OV); Cine Star Sony Center (OV); Filmtheater am Friedrichshain (OmU); Neues Off (OmU); Odeon (OmU); Rollberg (OmU); Astor Film Lounge; CinemaxX Potsdamer Platz; CineMotion Hohenschönhausen; Cineplex Neukölln Arcaden; Cineplex Spandau; Titania Palast Steglitz; Cubix Alexanderplatz; CineStar Hellersdorf; CineStar Tegel; Filmpalast Treptower Park; Kino in der Kulturbrauerei; Kant-Kino; UCI am Eastgate; Colosseum; UCI Friedrichshain; UCI Gropius Passagen; Zoo-Palast u.a.