Irritation der Gefühle: ‚Like Someone in Love‘ von Abbas Kiarostami****

Akiko ist Studentin, arbeitet jedoch auch als Callgirl. Zu Beginn des Films sitzt sie in einer Tokioter Café-Bar und versucht am Telefon ihrem Freund oder Verlobten klarzumachen, dass sie heute abend keine Zeit für ihn hat: die Grossmutter komme zu Besuch und morgen habe sie eine wichtige Prüfung in der Uni. Doch dann fährt sie mit dem Taxi durch die nächtliche, neonglänzende Stadt in einen Vorort zu einem Kunden: dabei hört sie die Anrufe der am Bahnhof wartenden Grossmutter auf ihrer Handy-Mail-Box ab, umkreist mit dem Taxi den Bahnhof-Vorplatz und glaubt die alte Frau zu sehen, verdrückt ein paar Tränen, fährt aber weiter. Der sie erwartende Kunde ist ein emeritierter Professor, ein einsamer, alter Witwer, der eher ein gemeinsames Abend-Essen und Gepräch als puren Sex erwartet. Doch Akiko will weder Suppe noch lange Unterhaltung und schläft übermüdet ein.
Am nächsten Morgen fährt der Professor sie in die Uni und wird Zeuge, wie sie dort von ihrem aufgebrachten Freund erwartet wird. Der junge Mann – wie sich rasch herausstellt, Automechaniker von Beruf – hält den Professor für Akikos Grossvater und eröffnet ihm, dass er Akiko heiraten will, um so stehts über ihr Leben bestimmen zu können. Der schmunzelnde Professor lässt ihn in seinem Glauben, dass er Akikos Verwandter sei. Doch nur kurze Zeit später erfährt der junge, leicht zu Gewalt neigende Mechaniker zufällig durch einen Kunden, dass der Professor gar nicht Akikos Grossvater ist. Wütend sucht er den Professor in dessen Wohnung auf…
Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami hat sein neues Werk wieder ausserhalb seiner Heimat gedreht – diesmal in Tokio und in der ihm fremden, japanischen Sprache. Scheinbar eine leichte, boulevardeske Liebes-Kömodie, bei jedoch der nie ganz klar wird, was Schein, was Wirklichkeit ist. (Ähnlich wie bei seinen vorherigen, in der Toskana spielenden „Liebesfälschern“). Der Titel (nach einer bekannten, von Ella Fitzgerald gesungene Jazz-Ballade, die auch im Film gespielt wird) verweist deutlich auf dieses „Als ob…“. Alles scheint sehr real, könnte aber auch anders gedeutet werden. Die Figur der Grossmutter, des Taxifahrers, der rothaarigen Freundin im Café, die unaufhörlich schwätzende, zugleich neugierig beobachtende Haus-Nachbarin des Professors oder gar Akiko selbst: wer ist sie eigentlich – Studentin mit erotischem Nebenverdienst oder Callgirl mit Uni-Ambitionen  -  und was will sie?
Formal ist das lockere Liebes-Dreieck sehr filmisch in Szene gesetzt: beispielsweise in den zahlreichen Autofahrten, bei denen im Vordergrund gross die Gesichter der Personen redend oder stumm zu sehen sind, im Hintergrund die vielfältige Stadt-Landschaft Tokios vorbeizieht – eine elegante Kombination aus festsehenden und bewegten Bildern. Auf unterlegte Musik wird verzichtet, stattdessen bilden Alltags-Geräusche die reale und charakteristische Klangkulisse, ob Gemurmel und (Geschirr-)Geklapper in der Kneipe, laute und leise Verkehrsgeräusche aller Art oder Telefongeklingel samt Anrufbeantworter in der Professoren-Wohnung. Aber auch die spezifisch japanische Sprach-Melodie wird eingebunden – etwa beim alle Tonhöhen umfassenden Geplapper der Nachbarin. Die (hierzulande unbekannten) Schauspieler sind trefflich ausgewählt und überzeugen in ihren sehr unterschiedlichen Temperamenten. Exzellent die Kameraführung (Katsumi Yanagijima)  die mit raffinierten Blickwinkeln und vielfältigen Spiegelungen die zugleich schillernde wie reale Atmosphäre der Gross-Stadt Tokio einfängt.
Der ruhige, langsame Bilderfluss, die nicht immer eindeutige, am Schluss offene Story (mit gelegentlichen Anspielungen auf die Filmgeschichte) und der Verzicht auf alles Äusserlich-Spektakuläre machen das kleine Werk zu einem leichten, intelligent unterhaltenden Vergnügen für  passionierte Film-Liebhaber.

Foto/Poster: Peripher Verleih

zu sehen: Brotfabrik-Kino (OmU); fsk (OmU); HackescheHöfe Kino (OmU)