Betroffenheits-Drama: „Lauf Junge Lauf“ von Pepe Danquart***

Der Film erzählt die Geschichte des 9jährigen, jüdischen Jungen Srulik, dem 1942 die Flucht aus dem Warschauer Gettho gelingt, indem er sich auf dem Karren eines gutmütig-mitleidenden Trödlers versteckt. Danach beginnt für ihn eine alptraumhafte Odysee durch die Wälder und weiten Landschaften Polens, wobei er sein Leben durch Betteln, Klauen oder kurz-zeitige Arbeiten auf verschiedenen Bauernhöfen unterhält. Eine Bäuerin, deren Mann und Söhne sich den polnischen Partisanen angeschlossen haben, unterweist Srulik, wie er sich als angeblich polnisches Waisenkind Jurek (samt Rosenkranz und Kreuz-Schmuck) vor den Nazi-Soldaten und deren einheimischen Mitläufern retten kann. Trotz widrigster Umstände wie Hunger, Kälte, Einsamkeit und eines Unfalls beim Dreschen, der ihm die Hand kostet, schlägt Srulik/Jurek sich bis zum Kriegsende durch. Er wird dann von einem jüdischen Funktionär entdeckt und – nach anfänglichem Widerstand – in ein Waisenhaus der Gemeinde gebracht.
Es ist die tatsächliche Geschichte des Yoram Friedmann, der in der 1980er Jahren nach Israel auswanderte, wo dann die Schilderung seiner abenteuerlich-verzweifelten Flucht im vom Nazi-Terror geschundene Polen durch den Schriftsteller Uri Orlev zu einem der erfolgreichsten Jugendbücher weltweit wurde.
Regisseur Pepe Danquart und sein Drehbuchautor Heinrich Hadding haben daraus ein durchschnittlich-solides Abenteuer-Drama gemacht. Historisch zwar korrekt, aber ausschliesslich nach den üblichen, dramaturgischen Regeln eines Jugend-Films arrangiert – szenische Spannung statt nüchtener Beschreibung. Nur wenige Szenen greifen schärfer: etwa wenn ein junger, karrieresüchtiger Arzt die notwendige Arm-Operation des Jungen verweigert, nur weil er Jude ist, oder wenn ein SS-Ofizier den Jungen seiner polnischen Geliebten überlässt, nachdem er selbst ihn vorher erschiessen wollte: aus Mitleid oder Berechnung? Stimmungsvoll die weiten polnischen Landschaften in unterschiedlichen Jahreszeiten mit ihren armen, teils zerstörten Bauerhöfen, überzeugend das gemischte deutsch-polnische Darsteller-Ensemble, vor allem die Verkörperung des Jungen durch das Zwillingspaar Andrej und Kamil Tkacz. Unerträglich jedoch wirkt die immer wieder unterlegte, süssliche Musik die den ganzen Film mit falschem Pathos überzieht und ihn zu einem gegenüber der Vorlage unangemessenen Betroffenheits-Spektakel degradiert.
Vor allem, wenn man bedenkt, mit welch analytischen Feinfühligkeit und mit welch filmischem Einfallsreichtum ein Steven Spielberg (Schindlers Liste), Roman Polanski (Der Pianist) oder auch die polnische Regisseurin Agnieczka Holland (Hitlerjunge Salomon) das Thema Shoa bereits als eindrückliches Kino-Erlebnis gestaltet haben.

Poster/Foto: NFP Verleih

zu sehen: Blauer Stern Pankow; CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Kant- Kino; Kino in der Kulturbrauerei; Passage Neukölln