Mit plakativer Wucht: ‚Die Soldaten‘ in der Komischen Oper Berlin ****

Eine Monster-Oper: musikalisch aufwendig und schwierig. Bis zu ihrer Uraufführung 1965 in Köln duch den wagemutigen Dirigenten Michael Gielen galten „Die Soldaten“ des Zwölftöners Bernd Alois Zimmermann als unspielbar. Zwar gibt es fast 50 Jahre danach keine spiel-technischen Hindernisse mehr für Musiker und Sänger,  dennoch ist jede Aufführung eine riesige Herausforderung für alle Mitwirkenden. Und auch wenn die jetzt vorgestellte Inszenierung (klugerweise) „bloß“ eine Übernahme aus Zürich und Stuttgart ist, so bleibt überaus bewunderungswürdig, wie souverän das umfangreiche Ensemble der Komischen Oper diese Riesen-Aufgabe meistert.
Regisseur Calixto Bieito hat sich auf der offenen  Bühne ein grosses, vielteiliges Gerüst aus Eisenstangen mit mehreren unterschiedlichen Emporen bauen lassen. Darauf platziert er das über 100-köpfige Orchester und den Dirigenten – gekleidet in einfache, heutige Soldaten-Uniformen. Der überdeckte Orchestergraben wird zur (leeren) Vorderbühne, auf der die traurig-tragische Geschichte von der (Bürgers-)Tochter Marie vorgeführt wird. Wie sie aus sozialem Ehrgeiz immer neue (adlige) Offiziere zu Liebhabern nimmt, immer wieder verlassen und schliesslich von rüden Soldaten misshandelt und vergewaltigt wird und wie sie am Ende als Bettlerin auf der Strasse nicht einmal mehr von ihrem Vater wiedererkannt wird.
Bernd Alois Zimmermann benutzt ein Schauspiel aus dem 18. Jahrhundert als Vorlage für sein musikalisches Menetekel gegen Krieg und die dadurch erfolgte Verrohung des Menschen, ein Aufschrei gegen die Gewalt nicht nur von und unter Soldaten, sondern auch gegen vielfältige Mißhandlungen, die sich alle Menschen gegenseitig zufügen. Es ist eine sehr pessimistische Weltsicht, die kaum Hoffnung zulässt, dass der Kreislauf des Bösen durchbrochen werden könnte.
Regisseur Bieito – skandalberüchtig – verzichtet auf allzu realistisch-gezeigte Grausamkeiten, deutet eher abstrakt und pantomimisch die sadistischen Spiele und brutalen Demütigungen an – allerdings so dick aufgetragen und plakativ, daß daraus eine theatralisch-aufgepumpte Horror-Picture-Show wird, die kaum echte Betroffenheit oder gar Nachdenklichkeit auszulösen vermag – eigentlich doch die Absicht von Zimmermanns unkonventioneller Oper.
Doch das eigentliche Zentrum des Werkes ist die Musik. Die hochkomplizierte (auch musiktheaorethisch unterfütterte) Partitur ist in ihrer Vielschichtigkeit (an einem Abend) jedoch kaum zu erfassen. Sie kombiniert fast alle Möglichkeiten des Musizierens und  fast jeden Stil (von Bach bis Jazz), mischt Elektronisches mit raffiniertem Schlagwerk, hört sich mal kakophonisch laut, mal sensibel-zart an und erfordert von den Musikern und vor allem vom Dirigenten höchste Konzentration. Gabriel Feltz meistert die scheinbar unmögliche Anforderung (auch mit Hilfe eines zweiten Dirigenten in der ersten Zuschauerreihe, der den Sängern auf der Vorderbühne den Einsatz gibt). Dabei hält er das Orchester zu expressivem Musizieren an. Beim Schlußbeifall erscheint er im sichtbar durchgeschwitzten, grünen Soldatenhemd.
Von den zahlreichen Solisten, der als Rockerbande bestens einstudierte Herrenchor miteingeschlossen, überzeugen besonders Tom Erik Lie als von Marie zurückgewiesener Bräutigam Stolzius sowie Martin Koch und Günter Papendell als arrogante Offiziere. Nöemi Nadelmann kehrt als böse Gesellschafts-Zicke mit spitzen Tönen an die Komische Oper zurück. Die Krone aber gebührt der dänischen Sängerin Susanne Elmark, die den menschlichen und sozialen Abstieg und Untergang der Marie vom naiven Teenager zur ausgegrenzten Un-Person mit klarem Sopran und darstellerischer Intensität höchst eindrucksvoll nachvollzieht.
Ein gewichtiger Abend – für den Zuschauer musikalisch nicht leicht zu erschliessen, dafür szenisch effektvoll, wenn auch ziemlich vordergründig.

Foto: Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 20./25.Juni// 1./9.Juli 2014