Herzensbrecher: „Werther“ – die Deutsche Oper in der Philharmonie****

Im Grossen Haus in der Bismarkstrasse haben bereits die Sommerferien begonnen – die Bühne wird technisch erneuert. Darum Umzug in die Philharmonie mit zwei konzertanten Aufführungen von Jules Massenets französischem Musikdrama „Werther“ nach Goethes berühmtem Roman (UA: Wien, 1892). Im Mittelpunkt: der neue italienische Tenor-Star Vittorio Grigólo, der bisher in Berlin nur in einigen Repertoire-Vorstellungen aufgetreten ist.
Er präsentiert sich gekonnt als theatralisches Vollblut mit überschäumendem Bühnentemperament, der sein Publikum auch ohne Kostüm und Maske mitreisst. Aber er ist nicht nur die stürmisch-vitale „Rampensau“ – sondern auch ein fabelhafter Sänger, der mit feinesten Schattierungen die lyrischen Linien von Massenets eleganter Musik nachzeichnet. Und der es versteht, Werthers zerissenen Charakter musikalisch klug und subtil auszuloten, und seinen kraftvoll-männlichen, italienisch gepägten Tenor (mit strahlenden Spitzentönen) dem leichteren, französischen Idiom vorzüglich anzupassen. Chapeau!
Die übrigen Sänger des Abends können kaum mithalten gegenüber diesem fulminante Werther. Die Charlotte der Ekaterina Gubanova, ein schöner, ausgeglichener Mezzo, wirkt kühl und distanziert, John Chest als Rivale Albert bleibt trotz seines samtenen Baritons als Rolle zu klein, um ein echtes Gegengewicht zum Titelhelden gestalten zu können. Dagegen klingt der hohe Sopran der Stipendiatin Shiobhan Stagg leicht und frisch, wenn sie auch als Figur (Charlottes junge Schwester Sophie) recht unpersönlich bleibt. Alle anderen Mitwirkenden sind blosse Stichwortgeber. Generalmusikdirektor Donnald Runnicles, der schon öfters seine Vorliebe für das französiche Repertoire erfolgreich gezeigt hat (Berlioz!), tut sich – wie auch das Orchester – diesmal schwer: zu dunkel und dramatisch entfaltet sich der Klang, Massenets helles, geschmeidiges Flair stellt sich nur selten ein.
Dennoch, nach fast drei Stunden viel Beifall für das gesamte Ensemble und grosser Jubel für Vittorio Grigolo, der die ihm überreichten Blumen effektsicher ins Publikum zurück wirft – A Star is born!

Foto: Bettina Stoess/Deutsche Oper Berlin