Lokale INFEKTION! ‚Footfalls/Neither‘ im Schillertheater (Staatsoper)***

Zur Vorgeschichte: 1976 inszenierte der irische Nobelpreisträger Samuel Beckett sein kurz zuvor in London uraufgeführtes Stück „Footfalls“ in der Werkstatt des Schillertheaters – deutscher Titel: „Tritte“. Es ist der knappe Dialog einer ständig hin- und her wandernden Tochter mit ihrer (nicht sichtbaren) rund 90jährigen Mutter, ohne dass dabei allzuviel über Leben und Verhältnis der beiden Frauen zu erfahren wäre.
Der US-amerikanische Komponist Morton Feldman (1921 – 1986) – auf der Suche nach einem Text für eine Oper – lernte Beckett bei einem Probenbesuch im Schillertheater  kennen und, obwohl beide Künstler die Oper in ihrer traditionellen Form ablehnten, versprach Beckett, sich die Sache zu überlegen. Einige Wochen später, der Komponist war wieder in Amerika, erhielt er vom irischen Autor eine ‚postcard‘ auf deren Rückseite 87 Wörter in knapper Versform standen – kein Gedicht, kein Libretto mit konkreter Handlung. Dennoch schuf Feldman daraus „An Opera in one Act“, die 1977 in Rom uraufgeführt wurde.
Ein hoher Sopran singt die Beckett’schen Worte als reine Vocalisen, unterlegt von meist sanften Klangflächen mit vielfältigen Ton-Repetitionen mittels eines grossen Orchesters, wobei häufig nur die einzelnen Instumentalgruppen wie Streicher, Bläser oder Schlagwerk eingesetzt werden. Da ein kontinuierlicher Handlungsablauf nicht zu erkennen ist, da Anfang und Ende offen scheinen, ist der szenischen Phantasie bei einer Bühnen-Realisierung kaum eine Grenze gesetzt.
Die viel beschäftigte, britische Regisseurin Katie Mitchell hat zur Grundlage ihrer Inszenierung die mit dem Schillertheater verbundene Entstehungsgeschichte des Werkes gemacht. Sie lässt zuerst das Schauspiel von Beckett spielen und schliesst die Feldman-Oper ohne Pause oder Zäsur daran an, gleichsam wie eine musikalische Fortsetzung des Stücks. Lief in „Footfalls“ die Tochter (Schauspielerin Julia Wieninger) vor einer schmucklosen Wand, an deren Seiten sich jeweils eine halboffene Türe befindet, ruhelos (und parallell zur Bühnenrampe) hin und her, so hebt sich diese Wand und zeigt weitere Wände mit den entsprechenden Seitentüren;  auch diese heben sich, vervielfachen sich in die dunkle Bühnetiefe. Immer mehr stumme Frauen laufen ebenfalls hin und her – mal im Gleichschritt, mal gegenläufig, oder sie verharren still nach strenger Choreographie: Becketts „Tritte“ gleichsam ver-sechsfacht.
In der selben einfachen, bodenlangen Kleidung wie die stummen Frauen mischt sich die Sopranistin Laura Aikins darunter, auch sie hin und zurückschreitend, ihre Vocalisen in teils extrem hoher Lage und mit berückenden Piani wie zarte Ton-Fäden durch den dämmrigen Raum spinnend. Die Staatskapelle unter Leitung des französischen Dirigenten Francois-Xavier Roth akzentuiert mal rhythmisch scharf oder lässt die sich wiederholenden Tonfolgen mal sanft kreiseln – immer auf transparente Klangschönheit bedacht.
Obwohl der gesamte Abend nur eine Stunde und 15 Minuten dauert, erschöpft sich die Idee, „Neither“ als streng choreographierte Vervielfachung von „Footfalls“ zu deuten, nach einer gewissen Weile – das ständige Hin- und Hergehen von kaum erkennbaren Frauengestalten auf der düsteren Bühne gewinnt einen esoterisch-feierlichen Beigeschmack und rückt die elegante Optik der Inszenierung in kunstgewerbliche Nähe.
Trotz dieser Einwände: eine für Musikfreunde lohnenswerte Begegnung mit diesem „Weder – noch“ – der einzigen und nicht oft gespielten Oper von Morton Feldman.

Foto: Stephen Cummiskey/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 24./27./29.Juni 2014