Doppel-Mord im Parkhaus: ‚Oresteia‘ in der Deutschen Oper***

Eine tolle Idee: da die Bühne der Deutschen Oper wegen Erneuerung ihrer Ober-Maschinerie zur Zeit nicht benutzbar ist, wird das weitläufige Deck des Parkhauses als prächtige Spielstätte gefunden: ideal für die 60 Minuten kurze, hoch-verdichtete Opern-Fassung der „Orestie“ des Aichylos durch den griechischen Avantgarde-Komponisten Iannis Xenakis (1922-2001).
Die räumliche Situation gleicht einem Innenhof, der von den hohen Beton-Mauern der Magazin- und Büro-Gebäude umschlossen wird. Statt Autos füllen schlichte Bänke für etwa 500 Zuschauer den asphaltierten Boden. Eine monumentale Holz-Treppe führt zu einer Empore, auf deren linker Seite das kleine Orchester sitzt, auf deren rechter sich – palastähnlich – die hohe Türe des Kulissen-Magazins öffen kann (Bühne: Christof Hetzer). Der grosse Chor – Struppel-Perücken und spitzen Schweinsohren – bildet eine Herde halb tierischer, halb menschlicher Wesen: er jagt wieselflink die Treppe rauf und runter (und mal auch durchs Publikum), und kommentiert, scharf und deutlich psalmodierend, das grässliche Geschehen um Agamemnons Rückkehr nach Argos, seine Ermordung durch Klytemnästra und die blutige Rache des Sohns Orest.
Alle Personen dieser Tragödie bleiben stumm, agieren nur pantomimisch und hinter schwarz verkohlten Schwellköpfen verborgen – Ausnahmen sind nur zwei Figuren: die als Gefangene aus Troja verschleppte Prophetin Kassandra sowie die Göttin Athene, die das glückliche Ende herbeiführt. Beide Rollen werden in knappen Monologen durch falsettierende, tiefe Männerstimmen charakterisiert.
Iannis Xenakis hat keine Opernmusik im traditionellen Sinn geschrieben, es gibt keine musikalische Klammer für die einzelnen Teile oder Abschnitte. Blechblas-Instrumente und Schlagwerk geben die Klänge und ihre Mischungen vor: kaum illustrierend, überwiegend abstrakt, wuchtig, knorzig, temporeich.
Beherrschend sind die Chorpartien (von William Spaulding präzise einstudiert) und obwohl oft in kleineren Gruppen über das gesamte Parkdeck verteilt, vermag der junge Dirigent Moritz Gnann Musiker und Chor bestens zu koordinieren.
Es ist ein pompöses Spektakel, effektvoll von David Hermann in Szene gesetzt. Auf Treppenmitte öffnet sich wie eine Blüthe eine baumartige Skulptur, darin steht der Bariton Seth Carico, nackt  im Lendenschurz, gleich einer jesus-ähnliche Kassandra in einem mit Blut (oder Rotwein) gefülltem Bottich und klagt über ihr verfluchtes Schicksal. Ein goldglänzender Laster fährt aus der „Palast-Türe“ auf der Empore und kippt Steine und ein grosses Beil auf die Treppe, das Elektra dann Orest überreichen wird. Im letzten Teil fährt dann in einer schwarzen Luxus-Limosine Pallas Athene – der ebenfalls falsettierende Michael Hofmeister – im türkisfarbenen Kleid herein und verkündet die neue Zeit. Leider misstraut der Regisseur diesem von Aichylos wie Xenakis ernst gemeinten Schluss und glaubt den so erworbenen Rechtsstaat und die Demokratie mit einem szenischen Fragezeichen versehen zu müssen – eine platte Parodie ist die Folge, in der Athene aussieht wie Hape Kerkeling als holländische Königin und ein Kinderchor in Katastrophen-Schutzanzügen silberne Fähnchen schwenken muss.
Dennoch: Xenakis in alt-griechischer Sprache gesungene, kurze „Oresteia“ (ursprünglich Schauspielmusik für eine amerikanische Universität, dann in mehreren Stufen zur heutigen Form entwickelt und 1992 in Athen uraufgeführt) ist ein gewichtiges Werk und die Entdeckung des Parkdecks für eine Aufführung unter freiem Himmel ein schöner Saison-Auftakt für die Deutsche Oper – auch wenn die Aufführung manchen Zuschauer – beim Verlassen des Parkdecks – etwas ratlos zu entlassen schien.

Foto:Bernd Uhlig/DeutscheOper Berlin

Premiere war am 9.September,weitere Vorstellungen: 12./13./15./16.September 2014