Ohne Glanz und Glamour: ‚Tosca‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

Giacomo Puccini’s veristischer Reisser „Tosca“ (UA in Rom 1900) gehört zum Standard-Repertoire jedes grösseren Opernhauses, meist als bühnenpraktische Plattform für reisende Stars. Entsprechend langlebig (und verschlissen) sind die jeweiligen Inszenierungen. Deshalb wurde in der Staatsoper nach 38 Jahren Laufzeit die alte „Tosca“ verschrottet, und jetzt zu Spielzeitbeginn durch eine neue ersetzt : aufwendig präsentiert von dem  (zu ?) vielbeschäftigen, lettischen Regisseur Alvis Hermanis und mit Daniel Barenboim höchstpersönlich am Dirigentenpult.
Doch schnell stellte sich beim festlich gestimmtem und erwartungsvollen Publikum der Premiere Nüchternheit ein. Am Ende, nach gut zwei Stunden (einscliesslich einer langen Pause) gab’s lediglich ein paar obligatorische Bravos für die Musiker, Buhs für das Regie-Team, insgesamt nur knappen Beifall, der schnell beendet war. Was war da passiert, dass einem solch beliebten, hochdramatischen Opern-Knüller so rasch die Bühnen-Luft ausging?
Der Regisseur – auf Originalität erpicht – hatte den wenig erhellenden Einfall, die Story doppelt vorzuführen. Zum einen als realistisches Spiel vor einer klassizistischen Säulen-Wand und in Kostümen, die der Zeit der Uraufführung nachempfunden sind, zum andern als auf einer breiten Leinwand – hoch über den Köpfen der Sänger – ablaufende Bilder-Folge:  Skizzen und Zeichnungen, die die Ausstatterin Kristine Jurjane bei einem Aufenthalt an den römischen Original-Schauplatzen gemacht hat. Eine Art Comic-Strip in Perücken und Kleidern um 1800, jener politisch unruhigen Zeit, in der „Tosca“ laut Libretto spielt. Doch die beiden Erzählweisen korrespondieren kaum, die Verdopplung wirkt eher störend und albern, zumal dem Regisseur auf der realistischen Ebene – vor allem in der Personenführung – kaum etwas eingefallen ist. Lediglich ein paar alteingeschliffene Inszenierungs-Details hat er aufgegeben: so muss beispielsweise Tosca die Leiche des von ihr ermordeten Scarpia nicht mehr mit Kerzen und Kreuz umstellen, sondern darf erschöpft in einen Sessel fallen und ein Glas Rotwein schlürfen. Und am Schluss stürzt sie sich nicht von der Engelsburg herab, sondern schreitet mit erhobenen Armen (engelsgleich?) ins Dunkle, während die Comic-Zeichnung sie tot auf dem Pflaster liegend zeigt.
Eine solch gedanklich überfrachtete Inszenierung kann oft durch die Musik überspielt werden. Doch auch hier weitgehend Fehlanzeige: Anja Kampe als Titelheldin verfügt zwar über einen in allen Lagen wolklingenden, flexibel geführten Sopran, macht auch darstellisch durchaus gute Figur, aber ihrer Tosca fehlen Strahlkraft, Glamour und jene Italianità, die diese Bühnen-Diva so einzigartig und langlebig macht. Als fieser Polizeichef Scarpia beeindruckt Michael Volle, gerade zum „Sänger des Jahres“ gekürt, durch seinen satten Bariton und seine sattliche Erscheinung, stilistisch ist er eher dem deutschen als dem italienischen Fach verpflichtet – von der dämonischen Eleganz dieses Bösewichts ist deshalb (musikalisch) wenig zu spüren. Allein Fabio Sartori vermag als politisch engagierter Maler Cavaradossi seinen hellen Tenor musikalisch überzeugend einzusetzen, als Darsteller beschränkt ihn seine Körperfülle auf wenige, andeutenden Gesten. Die übrigen Darsteller und die kurzen Chorauftritte – solides Stadttheater!
Auch Daniel Barenboim hat Schwierigkeiten mit seinem ersten Puccini-Opern-Dirigat. Zwar gelingen ihm immer wieder sehr schöne Passagen, brutal schmetternde oder zart lyrische, die dann auch von den Solisten der Staatskapelle wunderbar ausgeführt werden, aber all diese Einzelheiten fügen sich nicht zum überzeugenden Ganzen, verdichten sich nicht zum spannenden und schliesslich explodierenden Psycho-Thriller. Barenboim entdeckt vielerlei Klangfarben und stilistische Anklänge von der Romantik bis zur Moderne in Puccinis Partitur, doch der Zerfall in einzelne „Nummern“ und die meist sehr langsamen Tempi zerstören den raffiniert aufgebauten Spannungsbogen und bringen „Tosca“ so um ihren Glanz und ihren dramatischen Effekt.
Schade.

Foto: Staatsoper Berlin/ Hermann und Clärchen Baus

nächste Vorstellungen:06./12./16./19./22./25.Oktober 2014