Broadway entert Eiffelturm: ‚Die schöne Helena‘ in der Komischen Oper***

Vor genau 150 Jahren, im Dezember 1864, erlebte Jacques Offenbachs „La belle Hélène“ in Paris ihre überaus erfolgreiche Uraufführung – eine musikalische Satire auf die Gesellschaft der damaligen Zeit im Gewand der Antike. Helena, die von Venus als schönste Frau der Welt gepriesene Gattin des leicht vertrottelten Königs von Sparta, Menelaus, wird durch Paris, den flotten Prinzen von Troja, erst – angeblich im Traum – verführt und dann aus ihrer spiessigen Ehe befreit und auf eine glückliche Insel entführt. Der Trojanische Krieg findet nach dem Happy-End, d.h. nach dem Schluß dieser melodienseligen „Opéra bouffe“ statt.
Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper und Regisseur der Neu-Inszenierung, hat klar erkannt, daß die satirischen Pfeile dieses „Mutterschiffs“ der Operette heute stumpf erscheinen – bis auf ein paar Seitenhiebe auf die Institution der Ehe. Auch als politischer Subtext zu Antike, Seconde Empire oder Gegenwart – wie oft behauptet wird – hat diese französische Farce ausgedient. Dafür entdeckt Barrie Kosky die komisch-grotesken, die parodistischen und surrealen Facetten der Geschichte – französischer Dada beflügelt angelsächsischen Nonsens, Monty Python trifft Wooy Allen!
Prinz Paris tänzelt mit dunkler Sonnebrille und in schwarzer Cowboy-Kluft herein, Helena girrt, zischt und määht schafsgleich silberne Töne, Menelaus – mit Augenklappe – wird im Rollstuhl umhergefahren, Ober-Priester Kalchas witzelt und watschelt wieselflink trotz gut gepolsterter Fleischmassen unterm strengen Prälatenrock, eine männliche „Brieftaube“, Dirndl tragend,  überreicht auf Spitzen trippelnd ihre Botschaft und die ‚hilfs-bereite‘ Tänzerriege blonder Jungs in knappen Lederhosen schiebt nicht nur das blaue Riesensofa passgenau vor die klassizischischen Salonwände oder auf den runden Orchester-Laufsteg, sondern präsentiert sich auch als virtuos exerzierende Palast-Wache auf Rollschuhen.
Musikalisch wird ebenfalls  kräftig gescherzt: aus dem alten Trichter-Grammophon krächzen Töne von Richard Wagner und Charles Aznavour, eine Klezmer-Band und ein Bandoneonspieler tätigen klangvolle Kurz-Auftritte, Beethoven oder Richard Strauss steuern ebenfalls karikierende Akzente bei und im Schluß-Akt darf Helena mit Edith Piaf versichern „Non, je ne regrette rien“. Wahrend Menelaus – nun wie alle anderen auch im gestreiften Badekostüm – jammert „Ne me quitte pas!“
Tempo! Tempo! heisst die Devise und das Ensemble der Komischen Oper macht diesem Motto alle Ehre. Solisten (wegen der zahlreich angesetzten Vorstellungen in wechselnder Besetzung), Chor und Orchester (unter einem schwungvollen Henrik Nánási) singen, tanzen, witzeln, kalauern, wechseln Perücken und Kostüme (von Buki Shiff köstlich entworfen) und verspühen dabei ansteckend und andauernd gute Show-Laune.
Der Hacken jedoch ist: ein Zuviel an Gags und Einfällen. Der Abend dauert über drei Stunden – für eine Unterhaltungs-Revue einfach zu lang! Die elegante Musik Offenbachs wird überfrachtet und die zu Beginn knackig-nackten Hintern der Boys wirken dann nach langen drei Akten einfach schlaff.
Barrie Kosky bezeichnet im Programmheft seine vielen Zutaten als „Kräuter, die man über den Braten streut“. Doch diesmal hat er die Mahlzeit – so appetitlich-effektvoll sie angerichtet ist – einfach überwürzt. Dennoch: der Großteil des Publikums hat sich wie einst Bolle „janz köstlich amüsiert“.

Foto: Iko Freese /Komische Oper Berlin (Nicole Chevalier als Helena)
nächte Vorstellungen: 19./25.Okt.// 08./15./23.Nov.//11./31.Dez.2014