Im roten Labyrinth:’The Turn of the Screw‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

Die Geschichte stammt vom amerikanischen Schriftsteller Henry James (erschienen 1898). Zwei Waisenkinder, der zwölfjährige Miles und die etwas jüngere Schwester Flora, leben allein mit der Haushälterin Mrs.Grose auf einem herrschaftlichen Landsitz im Osten Englands. Ihr einziger Verwandter, ein Onkel in London, hat weder Zeit noch Lust, sich um sie zu kümmern und engagiert deshalb eine junge Gouvernante – allerdings unter der Bedingung, dass er niemals mit irgendwelchen Angelegenheiten der Kinder belästigt wird. Doch was sich dann zunächst als ländliche Idylle erweist, erhält bald erste Risse. Zwei gespenstige Erscheinungen, der gestorbene Diener Quint und die ebenfalls tote, einstige Gouvernante Miss Jessel, scheinen die Kinder zu bedrohen. Diese geheimnisvolle Verstörung entwickelt sich immer schneller zum grauenvollen Alptraum. Am Ende flieht die Haushälterin mit Flora in die Stadt, während die Gouvernante Miles weiterhin  zu beschützen versucht – bis er in ihren Armen tot zusammenbricht.
Der engliche Komponist Benjamin Britten schuf nach dieser Erzählung 1954 eine knapp zweistündige Kammeroper für sechs Sänger und kleines Orchester – in einer symmetrisch-musikalischen Struktur, die gesangliche Linien und modernen Intrumental-Klang raffiniert kombiniert. Mit seiner eigenen Tournee-Opern-Gruppe führte er das Werk zuerst in Venedig und anschliessend in vielen englichen Theatern auf. Heute gehört die Oper auch in Deutschland zum Standart-Repertoire.
Für die Neuinszenierung der Staatsoper im Schillertheater zeichnen der renommierte Regisseur Claus Guth, sein ständiger Ausstatter Christian Schmidt und der britische Dirigent Ivor Bolton verantwortlich. Die zwei-aktige Oper beginnt mit einem Prolog vor dem Vorhang, in dem ein Erzähler schildert, wie der Onkel in London die junge Gouvernante engagiert. Im Schillertheater öffnet sich bereits während dieses gesungenen Berichts die Bühne und zeigt einen Salon mit rubin-rot tapezierten Wänden, in dem stumm-pantomimisch der Onkel mit der Gouvernante verhandelt. Danach folgt im Original-Libretto die Reise der Gouvernante aufs Land – in Form eines von ihr gesungenen Monologs in einer Kutsche. In der Neuinszenierung dagegen bleibt die Gouvernante allein im Salon zurück, wird von einem Krampf befallen und fällt zu Boden. Im Liegen singt sie ihren Reise-Monolog, während die Bühne sich zu drehen beginnt und die roten Wände sich unaufhörlich zu neuen, düster-phantastischen Räumen verschieben. Die Kinder tauchen auf, dann die Haushälterin – alle in vorwiegend einfachen, dunklen Kleidern und Anzügen im Stil der 1950er Jahre.
Die grausame Story nimmt ihren fatalen Lauf. Dabei bleiben die Gespenster der toten Angestellten unsichtbar, nur ihre Stimmen sind zu hören. Dafür huschen allerlei Doppelgänger – teils ins Groteske gesteigert – durch die labyrinthischen Zimmerfluchten, wird ein weisses Kanninchen beerdigt oder an einer langen kerzenbestücken Tafel gespeist. Diese Leseart des Regieteams ist zwar theatralisch sehr effektvoll, verändert das Stück aber stark. Während bei James und Britten alles nur angedeutet und der Phantasie des Zuschauers/Zuhörers überlassen wird, ist in dieser Inszenierung alles Ausgeburt der Phantasie oder Wahnvorstellung der Gouvernante. Sigmund Freud und seine Nachfolger lassen allzu deutlich grüssen. Statt Rätsel, Geheimnis und Unterbewusstsein herrscht psychologische Pathologie mit stark sexueller Konotation. Eine Interpretation, die in ihrer Überdeutlichkeit ein wenig platt und allzu vorhersehbar erscheint.
Glücklicherweise  wird dieses Regie-Konzept erfolgreich überspielt durch die sich ständig drehende, raffiniert beleuchtete Szenerie und durch eine ausgetüftlte Personenregie, die die Sängern zu überzeugenden Darsteller werden lässt. Emma Bell als von wahnhaften Vorstellungen geplagte Gouvernante, Marie McLaughlin als nüchtern-freundliche Haushälterin sowie der Countertenor Thomas Lichtenecker als Miles und die Sopranistin Sonia Grané als Flora. Beide Kinder werden hier entgegen der üblichen Praxis von erwachsenen Sängern gespielt, weil der Regisseur glaubt, dass sie die komplexen Gefühle pubertierender Jugendlicher differenzierter und facettenreicher darstellen können als echte Kinder.
Grosses Lob gilt auch den 13 Musikern der Staatskapelle, die jeweils mehrere Instrumente bedienen müssen sowie ihrem Dirigenten Ivor Bolton, der besonders die zahlreichen Zwischenspiele transparent und durchhörbar zum Klingen bringt – ohne die dramatische Linie zu vergessen, der aber die Balance zwischen Bühne und Graben nicht immer gut austariert.
Eine Aufführung von grosser, theatralischer Wirkung – auch wenn die Leseart der Regie überzogen wirkt.

Foto: Monika Rittershaus/Deutsche Staatsoper Berlin

weitere Vorstellungen:19./ 22./ 27./ 30.Nov.// 05.Dez.2014