Im schwarzen Sand: ‚Die Schändung der Lucretia‘ in der Deutschen Oper****

Zwar war die Londoner Uraufführung seiner Oper „Peter Grimes“ im Juni 1945 ein grosser Erfolg und zugleich sein internationaler Durchbruch, aber die schwierigen Verhältnisse der ersten Nachkriegszeit liessen den englischen Komponisten Benjamin Britten an eine weitere Oper in dieser Form nicht denken. Er entschied sich darum für die Form einer Kammeroper, die nur eine Handvoll Sänger und ein kleines Orchester erforderte, auf Chor und Ausstattung verzichten konnte. So fand im Sommer 1946 die erste Aufführung der „Schändung der Lucretia“ im vom Krieg verschonten Glyndebourne satt, ein zweiaktiges Drama, das im antiken Rom zur Zeit der Etruskerherrschaft angesiedelt war, aber die unmittelbare Gegenwart nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs meinte.
Die mit dem Feldherrn Collatinus verheiratete Lucretia wird vom etruskischen Prinzen Tarquinius, der als Gast in ihr Haus kam, vergewaltigt. Obwohl ihr zurückkehrender Mann versichert, dass sich durch diesen Vorfall nichts an ihrer gegenseitigen Liebe ändere, wählt Lucretia zutieft innerlich verlezt den Freitod.
Britten und sein Librettist Ronald Duncan gestalten diese tragische Geschichte nicht als aufwühlenden Gefühls-Thriller, sondern als kunstvolles Spiel, gleichsam in der Form des epischen Theaters. Ein Sänger und eine Sängerin treten als „Male Chorus“ und „Female Chorus“ auf, leiten und kommentieren das Geschehen, gelegentlich mit trockenem Humor – so wenn sie am Schluss – nach einem Hinweis auf den christlichen Opfertod -  fragen: „It is all?“ Auch musikalisch herrscht ein rezitativisch-trockener Ton vor, doch immer wieder bilden lyrische Melodien gedankliche Ruhepunkte oder drängen dramatische Ausbrüche die Handlung brutal voran.
Seit Donald Runnicles vor einigen Jahren Generalmusikdirektor der Deutsche Oper geworden ist, bilden die Musikdramen von Benjamin Britten einen Programmschwerpunkt – oft dirigiert der Chef selbst. 
Jetzt wurde „The Rape of Lucretia“ in einer Inszenierung des letztjärigen Glyndebourne-Festivals übernommen und mit Kräften der Deutschen Oper im Haus der Berliner Festspiele neu einstudiert, da die Heimstatt in der Bismarkstrasse wegen Renovierung noch geschlossen ist, – leider nur für zwei Vorstellungen.
Der steil ansteigende Bühnenboden ist mit schwarzem Sand bedeckt, in dem im ersten Teil die römischen Feldherrn unter einem flach gestreckten Zeltdach kampieren, während im zweiten Teil darin die Grundrisslinien des Hauses der Lucretia durch Steine angedeutet sind. Die irische Star-Schauspielerin und Regisseurin Fiona Shaw erzählt die Geschichte umstandslos und deutlich  und animiert die Sänger zu temperamentvollem Spiel – besonders Thomas Blondelle und Ingela Brimberg als „Male -“ und „Female Chorus“ . Auch der klaren Mezzo von Katarinas Bradic als stolze und verletzliche Lucretia beeindruckt und überzeugt ebenso wie der raftvolle Bariton des englischen Gastes Duncan Rock als markant-männlicher Tarquinius.
Die 14 Musikern des Orchesters der Deutschen Oper dürfen immer wieder solistisch glänzen – oft konzertierend mit einem Sänger – und werden dabei bestens angeleitet vom jungen Dirigenten Nicholas Carter, der schon die Produktion in Glyndebourne erarbeitet hat.
Ein sehr eindrucksvoller, kurzer Abend, der starken Applaus erhielt.

Foto: Marcus Lieberenz/Deutsche Oper Berlin

Vorstellungen: 14.u.16.Nov.2014