Vor dem Auschwitz-Prozess: ‚Im Labyrinth des Schweigens‘ von Giulio Ricciarelli***

Frankfurt am Main 1958. Ein Auschwitz-Überlebender erkennt in einem Schullehrer seinen ehemaligen Peiniger. Mit Hilfe eines befreundeten Journalisten der „Frankfurter Rundschau“ erstattet er Anzeige. Doch die Staatsanwaltschaft mauert: keine Zeugen, keine Beweise und überhaupt alles verjährt. Nur der junge Staatsanwalt Johannes Radmann (Alexander Fehling) beginnt – zunächst auf eigene Faust – zu recherchieren: über den Lehrer, über Auschwitz – und stößt auf eine Mauer des Schweigens und heftiger Ablehnung. Durch empörte Artikel des FR-Journalisten wird der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (eindrücklich in seiner letzten Rolle der Theaterschauspieler Gert Voss) aufmerksam und beauftragt Radmann offiziell mit Vorbereitungen zu einem Prozess. Nicht über die Hauptverantwortlichen der Judenvernichtung wie Eichmann oder Mengele, sondern über die Mitläufer und Mittäter, 8000 Männer und Frauen waren es allein im  Vernichtungslager Auschwitz.  Mehrjährige Recherchen erfolgen, Zeugen werden in aller Welt gesucht und befragt, die Täter, so noch auffindbar, ausfindig gemacht und angeklagt. Für Radmann und seine Helfer eine überaus komplizierte und belastende Aufgabe, erschwert durch Pannen und Niederlagen, die nur durch die schützende Hand Fritz Bauers erfolgreich bewältigt werden konnte – und 1963 zum ersten Auschwitz-Prozess im Frankfurter Römer führte. Prozesse, die erstmals den ganzen Umfang des Holocausts (ein damals noch ungebräuchliches Wort) ins öffentliche Bewusstsein der Bundesrepublik rückte.
Der in Deutschland lebende, italienische Schauspieler, Produzent und Regisseur Giulio Ricciarelli hat einen Spielfilm inszeniert, der die historischen und juristischen Ereignisse sorgfältig recherchiert und nacherzählt. In den Mittelpunkt stellt er die Figur des jungen Staatsanwalts Johannes Radmann, dem jedoch viel Fiktives hinzugefügt wird. So machen eine (fast) in die Brüche gehende Liebesgeschichte und die schmerzliche Erkenntniss, dass auch seine Eltern Partei-Mitglieder im Dritten Reich waren – eine Erfahrung, die ihn fast aus der Bahn wirft – Radmann zur menschlichen Identifikations-Figur des Films. Mit seine Augen soll ein grosses, auch internationales Kino-Publikum die politische und gesellschaftliche Zeit des „Wirtschaftswunders“ und die bewusste Verdrängung der Nazi-Vergangenheit erkennen und nacherleben. Radmann wird zum “ Helden“, der sich bewähren muss und der wie in fast jedem konventionellen Kino-Epos einen Reife-Prozess durchmacht, um an dessen Ende einen glücklichen Ausgang zu erleben – hier steht der Beginn des Auschwitz-Prozesses stellvertretend für ein solches „Happy End“.
Sehr sorgfältig in Atmosphäre und Ausstattung sind diese späten 1950er Jahre und das damalige Lebensgefühl rekonstruiert, eine Reihe guter Schauspieler verleihen dem historischen Drama überzeugende Eindringlichkeit.
Und doch bleibt die Frage offen, ob angesichts der Ungeheurlichkeit von Auschwitz es nicht einen unkonventionelleren, cineastischeren Zugriff auf dieses Thema gibt als diese herkömmliche, von gefühlstriefender Musik untermalte Bebilderung der Vorgeschichte der Frankfurter Prozesse. Doch: sind solche ästhetisch-intellektuellen Fragen angebracht, wenn es darum geht, ein nach wie vor schmerzliches Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte für möglichst viele Zuschauer  verständlich aufzubereiten ?

Poster: Universal Pictures Germany

zu sehen: Blauer Stern Pankow; Bundesplatz-Kino; Capitol; CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Kant-Kino; Kino in der Kulturbrauerei; Zoo-Palast