Mord am Fjord: ‚Lady Macbeth von Mzensk‘ in der Deutschen Oper Berlin****

Eine Drehbühne mit steilen, glitschigen Klippen, obenauf ein schlichtes Haus. Männer in weiten Gummi-Latzhosen, Frauen in langen, weißen Plastikschürzen. Riesige, tote Fische (Kabeljau?) werden heran geschleppt, herumgeworfen. Der alte, bärtige Boris Ismailow (John Tomlinson) ist der strenge, autokratische Herrscher dieser rauhen Fischerei-Fabrik im hohen Norden. Sein Sohn Sinowji (Thomas Blondelle) gleicht einem Waschlappen, dessen Frau Katerina (Evelyn Herlitzius) langweilt sich, ist intellektuel wie sexuel frustriert. Als sie mit dem neuen, gutgebauten Gehilfen Sergej (Maxim Aksenow) ein Verhältnis beginnt, spitzt sich das Drama zu: zwei Morde, eine verpatzte Hochzeit und das Zerwürfnis der Liebenden führen zum Marsch ins Straflager und enden mit einem Selbstmord im reissenden Wasser.
1932 komponierte der damals 26jährige Dmitrij Schostakowitsch diese, seine zweite Oper nach einer literarischen Vorlage. Katerina war für ihn – obwohl Mörderin des Ehemanns und ihres Schwiegervaters – charakterlich eine „positive“ Figur, die jedoch an einer verderbten und bösen Umgebung (dem zaristische Russland des 19.Jahrunderts) scheitert. Doch Schostakowitsch schrieb keine psychologisierende Tragödie, sondern eine schrille und finstere Satire, die Musik changiert laufend zwischen fetzigen Gassenhauern, agressiven Dissonanzen und zarter Gefühls-Lyrik – eine musikalische Collage sämlicher Stile der (westlichen) Moderne seiner Zeit.
Das Publikum der ersten Aufführungen (Leningrad, Moskau) war begeistert, doch zwei Jahren später verbot die sowjetische Kulturbürokratie das Werk (angeblich auf Anweisung Stalins), da es nicht der konservativ-sozialistischen Musik-Ideologie entsprach. Zwar revidierte, d. h. entschärfte der Komponist die Partitur in den 1960er Jahren, doch erst nach der Wiederentdeckung und Schallplatten-Einspielung der Originalfassung durch Mstislaw Rostropowitsch 1979 erfolgte der Siegeszug dieser russischen  „Lady Macbeth“ über die Opernbühnen der Welt.
Die Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin ist ein Koproduktion mit dem Operhaus in Oslo. Der Regisseur Ole Anders Tandberg und sein Team haben die russische Kleinstadt des 19.Jahrhunders durch eine Fischfabrik auf den norwegischen Lofoten ersetzt. Die Arbeiter vergewaltigen brutal die Frauen, tote Fische dienen als Penis-Symbol, und wenn Katarina ihren Sergej ins Schlafzimmer holt, bläst eine vierzehnköpfige Banda in weißen Kniestrümpfen und roten Faltenröcker dazu lautstark den Marsch. Der „Schäbige“, der auf der Suche nach Wodka die Leiche im Keller entdeckt, hopst wie ein Gummiball über die Klippen und auf der Polizeistation bügeln die Herren Polizisten ihre Hosen zackig in flotter Chorus-Line. Eine gewagte, aber die Musik hübsch pointierende Interpretation dieser „Lady Macbeth von Mzensk“ – satirisch und grotesk, ohne jedoch die tragischen Züge der Katerina zu überlagern. Nur im letzten, dem Straflager-Akt, wenn auch der Komponist auf jede Parodie zu Gunsten der zerbrechenden Gefühlswelt Katerinas verzichtet, die Musik nach dramatischen Ausbrüchen in zarter Lyrik verdämmert, gerät die Szene an der Rand des kunstgewerblichen Kitsches. Und der Chor umschreitet gebückt und traurig in ebenso transparenter wie meist unkleidsamer Unterwäsche die sich drehenden, schwarzen Klippen.
Hervorragend ist die musikalische Interpretation – facettenreich und farbig, grell und diskret leitet Donald Runnicles sein fabelhaft musizierendes Orchester, bei dem diesmal die Bläser besonders glänzen können. Der von William Spaulding einstudierte Chor klingt prächtig und ein goßes Sänger-Ensemble ergänzt in vielen kleinen Rollen vorzüglich die Protagonisten.
Maxim Aksenow ist mit kernigem Tenor der attraktive, aber untreue Liebhaber Sergej, Sir John Tomlinson spielt mit flexibler Bass-Stimme den autoritären Fischerei-Besitzer und rohen Schwiegervater der Katerina, die von der eher zierlichen Evelyn Herlitzius mit einem voll-leuchtendem Wagner/Strauss-Sopran in all ihren Stimmungs-Schwankungen sehr nuaciert  und anrührend verkörpert wird.
Grosser Applaus für Sänger und Musiker, kleine Irritationen über die Regie.

Foto: Marcus Lieberenz/Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 31.Jan.// 05./14. Febr.2015