Theater? – Alles Theater! : ‚Birdman‘ von Alejandro González Inárritu****

Vor gut 25 Jahren wurde der (fiktive) Schauspieler Riggan Thomson (Michael Keaton) berühmt: als „Birdman“ in der gleichnamigen Horrorfilm-Serie. Danach ging’s bergab – nur noch kleine Auftritte waren ihm vergönnt. Jetzt versucht er einen Neuanfang am New Yorker Broadway: als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in der Dramatisierung einer Kurzgeschichte von Raymond Carver als Vier-Personen-Stück. Doch wenige Tage vor der Premiere fällt durch einen Bühnen-Unfall der zweite Schauspieler neben Riggan aus. Glücklicherweise taucht schnell ein Ersatzmann auf – der exzentrische Mike (Edward Norton), der auf der Bühne zwar brilliert, aber hinter den Kulissen sich als anmaßender Nervtöter erweist, und der sofort Riggans Tochter Sam (Emma Stone), die gerade einen Drogenentzug hinter sich hat, anbaggert. Eine der Schauspielerinnen (Andrea Riseborough) eröffnet dem schon total entnervten Riggan, daß sie ein Kind von ihm erwartet – was aber nicht stimmt – , die andere (Naomi Watts) hat Probleme mit dem Einspringer Mike und die Exgattin (Amy Ryan) erscheint immer zum unpassendsten Augenblick in der Garderobe. Daß in einem solchen Theater-Toll-Haus kurz vor und nach der (erfolgreichen) Premiere bei Riggan die Stränge reißen und er wie einst als Birdmann zu fliegen beginnt, verwundert kaum…
„Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ -so der Originaltitel – ist eine der bei Schauspielern wie beim Publikum so beliebten „Backstage-Comedys“, in der es immer um Eitelkeit und Selbtüberschätzung, um wahre und falsche Gefühle, um Sein und Schein im Film oder auf der Bühne geht. Mal tragisch, mal grotesk. Vor allem Hollywood liebt solche Stoffe – dennoch verwundert es zunächst, daß ein Film-Autor und Regisseur wie der Mexikaner Alejando Gonzáles Inárritu, dessen Filme („Babel“,“Biutiful“) bisher eher von Tod und Gewalt handelten, sich auf dieses „Theater-auf-dem-Theater“-Spiel einlässt.
Das Ergebins: eine turbulente, dralle und temporeiche Komödie mit Dialogen voll zugespitzer und ironischer Pointen über die amerikanische Film- und Theater-Welt, witzig vor allem für deren Kenner und Liebhaber, ein ebenso kunstvoller wie künstlicher Spaß.
Doch Inárritu hat keine beissende oder böse Satire gedreht – wie manche Kritiker meinen -, da hat Hollywood schon viel schärfere und agressivere Filme hervorgebracht. Vielmehr besteht der überwältigende Reiz von „Birdman“ in seiner Form: elegant gleitet die Kamera (Emmanuel Lubezki) durchs New Yorker St.James-Theater (echt oder Kulisse?), durch seine Gänge und Garderoben, seine Bühne und Werkstätten, auf seinen Dachbalkon und seinen Hinterhof; schwenkt nach rechts, schwenkt nach links und vermittelt so den Eindruck, der gesamte Film bestehe (ohne Schitt) aus einer einzigen Kamerafahrt. Im Schlußteil beginnt Riggan tatsächlich wie sein geheimes Alter Ego Birdman zu fliegen, über den Times Square, durch die engen Hochhausschluchten bis auf die höchsten Dächer – magisch mischt sich Realistisches mit Fantastischem.
Und so bleibt auch das Ende offen, wenn Riggan, für den die Premiere mit einer zerschossenen Nase endete, im Krankenhaus nach der Operation sein Bett verlässt und durchs Fenster aus dem Film entschwindet: Traum oder Tragödie?
Das alles wird mit größter Leichtigkeit erzählt, heiter und ironisch, getragen von einem exzellenten Schaupieler-Ensemble, allen voran Michael Keaton, der tatsächlich „Birdman“ im Film von 1989 war, und der sich nun in den Komödianten Riggan Thomson mit überschäumendem Spiel-Temperament verwandelt. Der diesjährige Oscar dürft ihm sicher sein.
Und wahrscheinlich hält Hollywoods Motion-Academy noch ein paar andere Exemplare dieses Goldjungen für Inárritus raffinierte Komödie bereit, die so zitatenreich und locker zwischen Fiktion und Realität, zwischen Schein und Sein in der Filmbranche changiert.

Poster/Verleih: Fox Deutschland

zu sehen: Astor Film Lounge; Babylon Kreuzberg (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; CineStar Sony Center (OV); Delphi; Titania Steglitz; fsk (OmU), Hackesche Höfe Kino (OmU); International (dt.und OmU); Kino in der Kulturbrauerei (dt. und OmU); Odeon (OmU); Rollberg (OmU); Yorck