Zwiespältiges Gold: ‚Foycatcher‘ von Bennett Miller****

1984 gewann das ringende US- Brüderpaar Dave und Mark Schultz je eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Los Angeles. Danach sattelte der ältere Dave, der zugleich immer Mentor seines jüngeren Bruders Mark war, auf eine Karriere als Trainer um, heiratete und gründete eine Familie. Mark dagegen trainierte porfessionell weiter, in der Hoffnung auch an den nächsten olymischen Spielen 1988 in Seoul teilnehmen zu können. Eines Tages werden die Brüder von dem reichen Chemie-Erben John du Pont eingeladen, in dessen Privat-Ringer-Team „Foxcatcher“ einzutreten und sich auf der luxuriösen Farm in Pennsylvania konzentriert auf die anstehende Weltmeisterschaft wie auf die kommenden olympischen Spiele vorzubereiten. Dave lehnt aus familiären Grunden zunächst ab, aber der allein lebende Mark nutzt sofort die Chance. Die etwas eigenwilligen Neben-Anforderungen des exzentischen Millionärs wie beispielsweise die Teilnahme an patriotischen Veranstaltungen nimmt er gelassen in Kauf. Nach den ersten Sporterfolgen und der damit verbundenen großzügigen Bezahlung von Seiten John du Ponts, entschliesst sich auch Bruder Dave als Trainer bei den „Foxcatchern“ mitzuarbeiten, zumal du Pont ihm eine luxuriöse Unterkunft für Frau und Kinder auf dem Gelände der Farm anbietet. Doch als der Millionär sich immer mehr in die Arbeit der Brüder und des ganzen Teams einmischt, kommt es zu Spannungen, die sich zwar langsam, aber immer stärker aufbauen. Eifersüchteleien zwischen den Brüdern untereinander, überhebliche Arroganz von Seiten du Ponts steigern sich noch, als erste Niederlagen bei nationalen Vorkämpfen eintreten. Auch Drogen und Alkohol spielen eine ungute Rolle, die allgemeine Stimmung kippt um und führt zu Marks Entlassung. Als die pferde-närrische Mutter du Ponts stirbt und der ledige Sohn nun allein zum unumschränkten Herrscher über den Besitz und das ererbte Geld wird, kommt es zur Katastrophe…
Die Geschichte der Schultz-Brüder ist authentisch, wenn auch der Film sie sehr frei nacherzählt. Dem Regisseur Bennett Miller („Capote“;“Moneyball“) gelingt es nicht nur, die drei Hauptfiguren in ihrer Unterschiedlichkeit psychologisch genau zu zeichnen, sondern auch das gesellschaftspolitische, amerikanische Umfeld lebendig werden zu lassen. Und zwar nicht im historischen Sinn, sondern in Denkmustern und Verhaltensweisen, die von ihrer jeweiligen Zeit unabhängig sind. Spiel, Spaß und Sportbegeisterung sind die eine Seite, gesteigerter Körperkult,  unterdrückte Sexualität, Abhängigkeit von Pillen und Geldgebern können die andere, die dunkle Seite dieser Medaille sein. Mehrfach zeigt der Film seine Figuren aus größerer Entfernung: man sieht sie gestikulieren und reden, kann aber nicht hören, was sie sagen. So überlässt es der Regisseur dem Betrachter, selbst zu erkennen oder zu deuten, was die Bilder über den Charakter der Handelnden aussagen. So wirken die Personen nicht einseitig oder überdeutlich durch-psychologisiert und  erscheinen – was ihre Handlungen oder Antriebe betrifft – vielschichtig und komplex.
Musik wird sehr zurückhaltend eingesetzt, unterstreicht vor allem die Szenen, deren Atmosphäre angespannt oder düster ist. Mit großer Rafinesse werden Details gestaltet: die packenden, virtuos fotografierten  Ring-Kämpfe im Trainingslager oder der olympischen Sportarena; das ländlich-einfache, aber fröhliche Familienleben Daves im Kontrast zur kargen Lebensweise Marks in einem schäbig-schlichten Appartment; der pompöse, weitläufige Landsitz der du Ponts mit seinen wertvollen Möbeln und Gemälden (darunter eine Kopie der amerikanisch-patriotischen Bild-Ikone „Washington überquert den Delaware“) oder die geschickt eingefügten alten, schwarz-weissen Dokumentarfilm-Schnipsel einer hochherrschaftlichen Fuchsjagd, die später zum Namengeber für Farm und  Ringer-Team wurde.
Brillant ist das Darsteller-Ensemble – bis in die kleinste Nebenrolle treffend besetzt. Channing Tatum überzeugt als gut gebauter, sportlich fitter, aber geistig etwas schlichter Mark, während Mark Ruffalo als sein älterer Bruder Dave vor allem familiäre Herzlichkeit ausstrahlt. Mittelpunkt ist jedoch der amerikanische Komiker Steve Carell, der mit markanter Film-Nase den exzentrisch-exaltierten Millionär du Pont spielt – eine Neurotiker von hohen Graden hinter der Maske eines großzügigen, weltgewandtem Wohltäters. Als bester männlicher Darsteller für eine Hauptrolle ist er für den diesjährigen Oscar vorgeschlagen, ebenso wie Mark Ruffalo für die beste männliche Nebenrolle und Bennett Miller als bester Regisseur.
‚Happy End‘ für eine erfolgreiche „Foxcatcher“-Mannschaft?

Poster/Verleih: Koch Media

zu sehen: CineStar SonyCenter (OV); Filmkunst 66 (dt.); Hackesche Höfe Kino (OmU); Kino in der Kulturbrauerei (dt.und OmU); Rollberg (OmU)