Düsterer Machtkampf: ‚Leviathan‘ von Andrey Zvyagintsev****

Ein Küstenort mit Hafen und Fischfabrik im Norden Russlands an der Berentssee. Schroffe Felsenklippen, staubige Landstraßen. Kolja (Aleksey Serebryakov) betreibt eine kleine Autowerksatt im Keller seines Hauses, das in der Nähe einer langen Brücke über einen Meereszufluß liegt. Doch der raffgierige Bürgermeister (Roman Madyanov) will Haus und Grundstück enteignen, angeblich zugunsten eines gemeinnützigen Projektes. Kolja wehrt sich vor Gericht, verliert und auch sein Widerspurch wird bürokratisch abgelehnt. Er bittet seinen Freund Dimitri (Vladimir Vdovichenkov), einen angesehenen Anwalt aus Moskau, um Hilfe. Als auch dessen Eingaben und Anträge von der Justiz abgeschmettert werden, versuchen Kolja und Dimitri, der entsprechende Unterlagen in Moskau zusammengetragen hat, den Bürgermeister mit dessen dubioser Vergangenheit zu erpressen. Doch der schlägt brutal zurück: Dimitri wird körperlich mißhandelt und flieht zurück nach Moskau. Auch in Koljas kleiner Familie kommt es zur Katastrophe, als er entdecken muß, dass seine (zweite) Frau Lilia (Elena Lyadoa) ein kurzes Verhältnis mit Dimitri unterhalten hat und der halbwüchsiger Sohn Roma (Sergey Pokhadaev) sich offen gegen seine (Stief-)Mutter stellt. Elena verschwindet, wird einige Tage später als Leiche aus dem Meer gefischt, wobei offen bleibt: Unfall, Selbsttötung oder Mord.  Kolja wird jedoch durch Indizien (falschen oder echten?) als ihr angeblicher Mörder verurteilt und sein Haus eingerissen – der Bürgermeister, immer im Verbund mit Polizei, Justiz und Kirche, hat sein Ziel erreicht.
Der russische Regisseur Andrey Zvyagintsev erzählt diesen düster-traurigen Machtkampf zwischen Bürger und Staat vor grandioser, fast bedrohlicher Naturkulisse: den kargen, rauhen Küstenlandschaften, den meist tiefhängenden Wolken und dem starken, ständigen Brausen des Meeres. Die Menschen leben in bescheidenen Verhältnissen, auch wenn Autos und Smartphones selbstverständlich sind. Der ärmliche Alltag wird bestimmt, geregelt und überwacht von der staatlichen Verwaltung, der Polizei und Justiz, Korruption spielt dabei die wichtigste Rolle.
Wer sich fügt, der überlebt, wer widerspricht, geht unter.
Geschickt balanciert der Film zwischen politischen und privaten Verhältnissen, so daß er nicht als platte Parabel auf den heutigen Staat Putins gelesen werden kann, dessen Konterfei in allen Amtsstuben präsent ist. Doch der deprimierende Schluß, in dem die Gemeinheit des Bürgermeisters, die Willfähigkeit und Unterwürfigkeit von Koljas und Elenas angeblichen Freunden sowie die fatal-zwielichtige Macht der Kirche triumphieren und allgemein akzeptiert werden, zeigt die scharfe Kritik und Abrechnung des Regisseurs (und wohl auch seines hervorragenden Darstellerteams) mit Staat und Gesellschaft im gegenwärtigen Russland.
Das bleiche Knochen-Skelett eines reisigen Walfischs im flachen Wasser, der halbwüchsiche Sohn auf einen Felsenbrocken daneben, das Gesicht in den Händen verborgen: eines der starken Bilder, die die Verknöcherung einer Gesellschaft und die Hoffnungslosigkeit der Jugend ebenso deutlich werden lassen wie sie von der allgegenwärtigen Übermacht des Staates erzählen, dem bedrückenden Reich des modernen „Leviathan“.

Poster/Verleih: Wild Bunch Germany

zu sehen: Filmtheater am Friedrichshain (OmU u.dt.); fsk (OmU); Krokodil (OmU); Kant-Kino, Cinema Paris (So Matinée)