Wilde Mischung: ‚Roméo und Juliette‘ in der Deutschen Oper Berlin***

Eine offene, schwarz ausgeschlagene Bühne. In der Mitte ein heller, leicht ansteigender Doppel-Tanzboden, der sich später nach hinten – wie ein Buch – aufschlagen läßt und so unterschiedliche Raum-Assoziationen im Lauf den knapp zweistündigen Abends ermöglicht. Wenn der Dirigent Donald Runnicles den Einsatz zur ‚Symphonie dramatique‘ „Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz gibt, rennen, stoßen, wirbeln Tänzerinnen und Tänzer in schlichten, schwarzen oder weißen Kleidern über die Fläche, springen und berühren sich entsprechend der Partitur-Überschrift: Kämpfe, Tumult, Intervention des Fürsten. Danach wird vom – noch unsichtbaren – Chor und einer seitlich in üppiger Abendrobe aufretenden Altistin (Ronnita Miller) die tragische Liebesgeschichte von Romeo und Julia besungen. Ende des ersten Teils.
Im zweiten Teil trifft der einsame Romeo (Joel Suárez Gómez) die junge Julia (Yael Schnell) auf einem burlesken Ball, eine nächtlich-lange Liebesszene schließt sich an – beides hochromantische, rein instrumnetale Musik-Passagen.
Im – wiederum ohne Pause anfügten – dritten Teil wird die scheintote Julia auf ein durch Kieselsteine markiertes Grab gebettet, der verzweifelte Romeo ersticht sich – nicht jedoch ohne die erwachende Julia noch einmal umarmt zu haben (was bei Shakespeare nicht der Fall ist!), dann tötet sich auch Julia. Pater Lorenzo (Nicolas Courjal) erscheint und beklagt in einer großen Baß-Arie dieses tragische Ende, versöhnt aber – pantomimisch von einem Tänzer (Orlando Rodriguez) gedoubelt – die verfeindeten Gesellschafts-Clans der Montagues und der Capulets. Die jeweils schwarzen oder weißen Tänzer-Paare mischen sich und der seitlich stehende Chor in seinen phantasievollen Roben und Hauben stimmt einen machtvollen, vielstimmigen Versöhnungsschwur an.
Der Shakespeare-begeisterte Hector Berlioz komponierte „Roméo et Juliette“ 1839 bewußt als dramatische Symphonie – trotz Chören und Sänger-Solisten weder als Oper, Oratorium noch als Ballett gedacht. Dennoch versuchten sich Musiker oder Regisseure immer wieder in den unterschiedlichsten Präsentations-Formen an dem eigenwilligen Werk.
2007 schuf Sasha Waltz für die Pariser Oper eine Inszenierung als modernes Tanztheater. Sie läßt die jeweiligen Handlungen zwar klar erkennen, aber ihre Bewegunbgssprache und das szenische Arrangement bleiben immer abstrakt und zeitlos. Nicht die äußere Geschichte wird nacherzählt, sondern deren innere oder untergründige Tiefenschicht soll sichtbar gemacht werden. Das gelingt am ehesten in den ersten beiden Teilen, bleibt aber insgesamt koventionell und wenig überraschend. Höhepunkt ist hier der elegante, weit ausschwingende Pas-de-deux des Liebespaares. Doch im dritten Abschnitt wirken die sich ständig wiederholenden Drehungen und ausgestreckten Arme allzu schlicht und überwiegend kunstgewerblich.
In den durchgängig choreographierten Ablauf werden – eingeschränkt – auch die Solisten und der Chor miteinbezogen – wobei besonders der Sänger des Pater Lorenzo sich überzeugend dem fließend-geschmeidigen Bewegungsfluß einzufügen vermag.
Generalmusikdirektor Donnald Runnicles, der seit seinem Amtsantritt an der Deutschen Oper sich für die Werke von Berlioz stark macht („Die Trojaner“, „Fausts Verdammnis“) und auf dessen Wunsch die Pariser Produktion von Sasha Waltz nach Berlin geholt wurde, fügt sich der Szene bestens ein: er hält das gut gestimmte Orchester zu ebenso transparentem wie klangmächtigem Spiel an – einerseits lyrisch-sanft, andererseits scharfkantig-akzentuiert die Tänzer und auch dei Sänger unterstützend.
Neu an dieser Produktion ist, daß Sasha Waltz sie hier in Berlin erstmals mit Tänzerinnen und Tänzern ihrer einstigen Truppe einstudieren konnte – also mit einem Ensemble, das mit ihren Ideen und ihrem Stil vertraut ist wie kein anderes. Sicherlich hat diese eingespielte Zusammenarbeit auch zum großen Publikums-Erfolg des Abends beigetragen – auch wenn keine außergewöhnlichen tänzerischen Auftritte zu bestaunen sind.  Und am Ende – allem Bühnen-Aufwand zum Trotz – die Musik über die Szene triumphiert.

Foto:Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

Premiere war am 18.4. Nächste Vorstellungen: 22./ 28./ 29.April// 02.Mai 2015