Laufsteg der Countertenöre: die Händel-Festspiele Halle 2015

Premieren-Wochende bei den Händel-Festspielen in Halle/Saale – ein Triumph für drei Stars der jungen Herrn mit hoher Stimme.
1. Festkonzert mit dem französischen Altus Philippe Jaroussky in der nüchtern-modernen Händelhalle. Begleitet wird er von den Musikern des Kammerorchesters „Orfeo 55“, das 2009 von der ebenfalls französischen Altistin und Dirigentin Natalie Stutzmann gegründet wurde und auch an diesem Abend von ihr kompetent geleitet wird. Ein bunter Mix aus zehn Opern-Arien und verschiedenen „Concerto grosso“-Sätzen des in Halle geborenen Super-Komponisten Georg Friedrich Händel. Dabei beeindruckt der symphatisch jungenhaft wirkenden Jaroussky besonders mit den lyrischen oder melancholisch verhaltenen Stücken, während bei den temporeichen, koloraturgespickten Bravour-Arien die Höhen manchmal leicht gepresst wirken. Doch Virtuosität und Präsenz des schlanken Sängers reißt das Publikum zu Beifallsstürmen hin, in die auch Natalie Stutzmann und ihre Musiker einbezogen werden. Am Ende wird dem internationalen Star der diesjährige (nicht dotierte) Händel-Preis der Stadt Halle in Form einer großen Urkunde überreicht, für den er sich zusammen mit der dirigierenden Altistin im gefühlvollen Mutter-Sohn-Duett (dem Finale des 1.Aktes) aus „Giulio Cesare in Egitto“ aufs Schönste bedankt. Erneut großer Jubel.
2. Am nächsten Tag Premiere im Opernhaus mit dem kaum bekannten „Lucio Cornelio Silla“, einem Werk aus Händels füher Londoner Zeit. Titelheld ist der römische Konsul und brutale Diktator Sulla, der jedoch 78 v.Ch. auf seine Macht verzichtete und sich ins Privatleben zurückzog.
Der englische Regisseur Stephen Lawless sieht in der antiken Geschichte eine Paralelle zum Ende des italienischen Machthabers Benito Mussolini und lässt (auf einer Drehbühne) in einer düsteren Salon- und Zimmer-Flucht den exzentrischen Machthaber mit Bart und Glatze politische Weggefährten sowie Ehe- und andere Frauen hart bedrängen. Bis er am Ende Einsicht in sein tyrannisches Verhalten gewinnt und die Waffe bei einem „lieto fine“ beiseite legt. Mit fast an Chaplins Diktator gemahnendem Körpereinsatz und musikalisch-stilistischer Sicherheit beherrscht der italienische Countertenor Filippo Mineccia – teils brutal, teils wahnhaft – seine finstere Wohn-Welt, über die immer wieder Video-Bildern aus den letzten Kriegtagen flimmern. Ganz überzeugend wirkt die Gleichsetzung der Diktatoren Sulla und Mussolini jedoch nicht, zumal die Charakterzeichnung recht einseitig bleibt. Romelia Lichtenstein als klug durchschauende und handelnde Ehefrau Metella wirkt durch ihr ruhiges Auftreten und ihr ergreifendes musikalisches Pathos weitaus überzeugender. Die übrigen Solisten des Halleschen Opernhauses bieten Gesangskunst auf hohem Niveau, und das mit historischer Praxis bestens vertraute Orchester des Hauses wird vom Barock-Spezialisten Enrico Onofri ebenso temperament- wie stilvoll geleitet. Herzlicher Beifall.
3. Als dritter prominenter Countertenor steht Max Emanuel Cencic im Mittelpunkt einer Produktion von Händels 1726 in London uraufgeführter Oper „Alessandro“, die für zwei Vorstellungen im historischen Goethe-Theater im nahen Bad Lauchstädt gastiert. Das eher heitere Werk schildert einige erotische oder standespolitische Episoden  um den legendären Griechenkönig Alexander den Grossen. Ein heiteres Spiel zwischem barocken Theaterfloskeln und Zwanziger-Jahre-Krimi, zwischen Kriegsherrn in goldfarbenen Strumpfhosen und glänzendem Helmen und  verucht-rauchenden Damen im Kosmetiksalon oder Lotterbett. Cencic lässt virtuos die Koloraturen perlen, wechselt raffiniert zwischen hohen und tiefen Tönen, spielt temperamentvoll den eitlen Herrscher und unentschlossenen Liebhaber – pfiffig, charmant und sehr selbstironisch. Die übrigen Mitspieler, darunter zwei geschmeidige Altus-Sänger, ergänzen die turbulente Musikomödie, die laut Programmzettel nach einer Inszenierung der amerikanischen Choreographin Lucinda Child eingerichtet wurde. Sechs Tänzer in schwarzen Trikots zeigen zierliche barocke Schritte, deuten im romantischen Tütü weibliche Sehnsüchte an und erheben am Ende ihren Alexander auf einen Thron aus Lanzen – eine effektvoll-ironische Apotheose. Das auf historischen Instrumenten musizierende griechische Orchester mit dem hübschen Namen „Armonia Atenea“ läßt Händels Musik muntere Purzelbäume schlagen und zündet unter der anheizenden Leitung von George Petrou ein hübsches musikalisches Feuerwerk – gelegentlich derb, aber immer kraftvoll und komödiantisch. Große Begeisterung im Publikum – trotz extremer Hitzegrade im natürlich unklimatisierten, alten Goethe-Theater.

Bild: Marktplatz von Halle mit Händel-Statue /Foto von Thomas Ziegler

Die Händelfestspiele/Halle 2015 dauern vom 31.5. bis zum 14.6.