Frühbarockes Musical: Monterverdis ‚Orfeo‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

Eine Produktion von „sasha waltz & guests“. Die Premiere war im letzten Jahr in Amsterdam und nach mehreren Zwischenstationen gastiert die Aufführung nun für ein paar Tage in der Staatsoper im Schillertheater.
Es ist die sechste Opern-Inszenierung von Sasha Waltz, deren persönliche Handschrift darin besteht, daß – wie die „Finacial Times“ schreibt -  „Her singers dance; her dancer sing“.
Diese beeindruckende Einbindung von Sängern in einen choreographischen Bewegungsablauf prägt auch die Inszenierung von Claudio Monteverdis Oper „Orfeo“ (Mantua, 1607), eine „Favola in musica“, die stilbildend für die Entwicklung dieser Theatergattung wurde. Rezitative, Arien, Ensemble-Nummern, Chöre, Tänze und instrumentale Musik vereinen sich zu einem frühbarocken Drama, das auf der griechischen Mythologie beruht. Die Geschichte vom Sänger Orfeo, der dank seiner betörenden Kunst seine verstorbene Gattin Euridice aus der Unterwelt zurückholen darf, sie aber wieder verliert, als er sich beim Heimgang verbotenerweise nach ihr umdreht. Im letzten Akt gelingt jedoch eine Versöhnung, indem der Gott Apoll, Vater des Orfeo, seinen untröstlichen Sohn in den Olymp hinauf holt, wo Orfeo die Züge seiner geliebten Euridice in den Gestirnen wiederfinden wird.
Im Schillertheater ist der Orchestergraben zugedeckt und wird zur offenen Bühne; in der Mitte eine helle Spielfäche, rechts und links davon sitzen die Musiker, im Himntergrund zunächst ein hohes, hölzernes Portal, später nur eine Leinwand, auf verschiedene (Video-)Bilder – vorwiegend Wald-Landschaften – projeziert werden. Sänger und Tänzer tragen schlichte, zeitlose Kleidung: die Männer schwarze Anzüge, die Frauen lange, fließende Gewänder aus unterschiedlichen, edlen Stoffen und Farben. Sasha Waltz erzählt die antike Geschichte klar und in einem raffiniert austarierten Rhythmus, der alle Teilnehmer in eine umfassende Choreographie einbindet, wobei den Sänger die einfacheren Drehungen und Schritte, den Tänzern die anspruchsvolleren und komplexeren Sprünge und Bewegungen  zugedacht sind. Am Schluß, wenn der Chor den glücklichen Ausgang übermütig feiert, werden auch die Musiker samt Dirigenten in den fröhlichen Ringelreihen-Tanz – alle übrigens barfuß – miteinbezogen.
Doch so hübsch und elegant dieser singende und tanzende Orpheus sich präsentiert, das Arrangemant bleibt doch sehr vordergründig und punktet vor allem mit seiner gefällig-glatten Oberfläche. Denn die Choreographie bietet kaum Neues oder Vertiefendes, sie beschränkt sich hauptsächlich auf die Verdopplung der jeweiligen Aktion. Die dramatischen Auseinandersetzungen um Leben und Tod, um Kunst und Moral, um Tugend und Gott, all diese in Musik und Text  angedeuteten Sinnfragen werden von der effektvollen und attraktiven Tanz-Show weitgehend überdeckt.
So wird die Musik und ihre Darbietung zum Mittel- und Höhepunkt des Abends. Der Mitbegründer des Freiburger Barockorchesters Thorsten Johann feuert Musiker des berühmten Ensembles – darunter deren Stars Petra Müllejans und Hille Perl -  zu einem ebenso farbigen wie transparent-kernigem Spiel an und der fabelhafte Chor des „Vocalconsort Berlin“ verblüfft durch Tonschönheit und darstellerische Beweglichkeit. Der Bariton Georg Nigl ist ein ausdrucksstarker Orfeo, höchst flexibel in Stimme und Körpersprache, hochdramatisch im Liebestaumel wie im Schmerz,  lyrisch in verzweifelter Melancholie oder im späten, verklärenden Glück. Anna Lucia Richter gefällt als lieblich sanfte Euridice und singt mit zartem Sopran auch die Rolle der „Musica“,  Charlotte Hellekant verkörpert mit kraftvollem Mezzo zunächt die Botin, die die Nachricht von Euridices Tod überbringt, und begleitet später als „Speranza“ den Sänger Orfeo bis zum Tor zur Unterwelt. Auch die zahlreichen übrigen Solisten reihen sich  vortrefflich ins musikalische Geschehen ein.
Alle Mitwirkenden tragen durch ihre hohe Musikalität und tänzerische Präsenz zum großen Erfolg dieser frühen Oper beim Publikum bei – auch wenn die Jubelstürme vor allem einem etwas vordergründigen, aber effektvollen Spektakel gelten, der musical-ähnlichen Verküpfung von Tanz und Musik einer früh-italienischen Barock-Oper durch Berlin-Liebling Sasha Waltz.

Foto: Monika Rittershaus/Deutsche Staatsoper Berlin

Premiere: 1.Juli, weitere Vorstellungen: 02./03./05./06.Juli 2015