Einheits-Spektakel: „Die Meistersinger von Nürnberg“ in der Staatsoper im Schillertheater***

Anläßlich des 25.Jahrestages der deutschen Wiedervereinigung (3.10.2015) setzte die Staatsoper im Schillertheater Richard Wagners Komödie über die Meistersinger im Nürnberg des 16.Jahrhunderts auf den Spielplan: die deutsche Kunst einigt – nach dieser Lesart – das bislang getrennte Volk. Die Story um den dichtenden Schuster Hans Sachs ist in unsere Gegenwart verlegt, man trägt vielfach Smoking und Abendkleid und hantiert unermüdlich mit Stoffen in Schwarz-Rot-Gold. Eine entsprechende Fahne steht in der Kirche, ebensolche Wink-Elemente flattern bei der nächtlichen Prügelszene im Halbdunkel, auf diese Dreifarben-Fahne wird die „Morgentraumdeut-Weise“ feierlich beschworen, entsprechende Luftballons schweben beim Festakt auf der Bühne wie im Zuschauerraum und selbstverständlich tragen alle Meistersinger über ihrem Frack Schärpen in Schwarz-Rot-Gold. Ansonsten erzählt die mit viel Vorschuß-Lorbeer bedachte Regiseurin Andrea Moses die Geschichte um die Zigretten rauchende Eva und ihrem Lederjacken-Ritter, der sich nur widerwillig den Meisteringern anpasst (die hier zu modernen Handwerks-Managern mutiert sind), recht brav und wiedererkennbar nach – wenn auch mit allerlei szenischen Ungereimtheiten, die sich aus dem Handlungs-Zeitsprung ergeben. Eine Besonderheit ist dabei die Besetzung der Meister mit alten Wagner-Größen: vom 75-jährigen Siegfried Jerusalem bis zum über 90-jährigen Franz Mazura – eine skurile Muppet-Show ehmaliger Sänger-Stars. Der festliche Meistersinger-Wettstreit zwischen Beckmesser und Walther von Stolzing im Schußakt findet vor der Fassade des (rekonstruierten) Berliner Schlosses statt – und das modisch-chic gestylte Volk jubelt: Scherz, Satire, Ironie oder tiefere Bedeutung?
Musikalisch fiel die Premiere zwiespältig aus, denn Daniel Barenboim und die Intendanz hatten sie auf zwei Tage verteilt. Angeblich um die Zeiten der Handlung der „Echt-Zeit“ anzupassen. Die ersten beiden, am Abend spielenden Akte am 3.Oktober von 20.30 Uhr bis fast Mitternacht, der 3.Akt (Festwiese) dann am 4.Oktober von 12-14 Uhr.  Merkwürdigerweise fiel der abendliche Teil recht flau aus, doch am nächste Mittag vermochten Musiker wie Sänger das Ruder herumzureißen und durch frischen Schwung und feines, dynamisches Ausbalancieren der Partitur noch einen schönen Erfolg zu erzielen.
Das Sänger-Ensemble ist nicht überragend, aber durchweg hörenswert. Wolfgang Koch betont mit wohlklingendem Bariton die praktisch-patente Seite des Hans Sachs, weniger die melancholisch-philosophische, Klaus Florian Vogt ist ein attraktiver und gesangstechnisch perfekter Walther von Stolzing (allerdings trifft sein trompetenheller, wenig modulationsfähiger Knaben-Tenor nicht jedermanns Geschmack), Julia Kleiter als Evchen spielt ein mondänes Party-Girl mit einigen leuchtenden Soprantönen und Markus Werba verkörpert den Beckmesser als wuseligen Spießer und bemitleidenswerte Grau-Maus. Der Chor präsentierte sich auf der schmalen Bühne (Jan Pappelbaum, Ausstattungsleiter der „Schaubühne“) etwas beengt, aber solide.
Die Staatskapelle und ihr Chef Daniel Barenboim entäuschten – wie oben beschrieben – am ersten Tag, bewiesen aber am zweiten dann ihre Klasse: besonders in den delikaten lyrischen Passagen, bei der fein ausgewogenen Sängerbegleitung, aber auch in den triumphalen Schluß-Momenten: festlich, jedoch ohne überzogenes Pathos. Diesmal großer Beifall.
Die angesetzten fünf nachfolgenden Vorstellungen werden ungeteilt an einem einzigen (langen) Abend gespielt.

Foto: Bernd Uhlig/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 07./11./15./18./22.Oktober 2015