Riskante Seefahrt: ‚Vasco da Gama‘ in der Deutschen Oper Berlin**

Giacomo Meyerbeer – 1791 in Berlin geboren, 1864 in Paris gestorben – gilt als Hauptvertreter der französischen „Grande Operá“. Sein letztes Werk wurde unter dem Titel „L´africaine“ in einer gekürzten Fassung ein Jahr nach seinem Tod uraufgeführt und in dieser Form lange Zeit nachgespielt – bis 1933 Meyerbeers Musik von den Nazis verboten und von den deutschen Bühnen verbannt wurde.  Von einigen Inszenierungen der Nachkriegszeit errangen in Berlin nur „Die Hugenotten“ an der Deutschen Oper größeren Erfolg – dank einer für den damaligenn Zeitstil mondänen Regie und einer (in der Premiere) vorzüglichen Besetzung.
Jetzt in der Bismarkstraße erneuter Versuch mit Meyerbeer – diesmal mit „L´africaine“.  2013 stellte das Theater in Chemnitz erstmals eine historisch-kritische Ausgabe dieser Oper vor – knapp 5 Stunden lang und unter dem (wahrscheinlich vom Komponisten geplanten) neuen Titel „Vasco da Gama“. Das Libretto erzählt in fünf ausladenden Akten und vielen Episoden die stürmischen Entdeckungsfahrten des Portugiesen Vasco da Gama nach Indien und Ostasien, um seinem Land neue Handels-Stationen und Kolonien zu erobern. Historisierende Tableaus – verbunden mit einer tragisch-endenden Liebesaffaire: der Held zwischen der heimischen Jugendliebe Ines und der zuerst versklavten, dann befreiten, indischen Königin Selica.
Meyerbeers Musik, oft als rein ekklektisch charakterisiert, verblüfft im Laufe des langen Abends immer wieder durch ungewöhliche Klangfarben und raffinierte (Folklore-)Rhythmen. Sicherlich sind die großen Ensemble-Szenen, besonders die lautstarken Finali auf vordergründigen Effekt getrimmt, dennoch erfindet Meyerbeer dazwischen schön ausschwingende, melodische Linien für die Sänger und kontrastiert sie mit aparten Einwürfen und Figuren des Orchesters.
Der Dirigent Enrique Mazzola versteht es, die schwierige Ballance zwischen den über weite Strecken sich ziehenden musikalischen Konventionen und den neuartig-aparten Meyerbeerschen Einfällen geschickt zu halten, sowie die vielen Chorsänger und Solisten auf den Bühne mit dem flexibel spielenden Orchester wirkungsvoll zu verzahnen.
In der Rolle des Titelhelden gastiert der französische Startenor Robert Alagna, kraftvoll, aber nicht immer sauber im Ton. Die Sopranistin Nino Machaize verpasst der Jugendliebe Ines darstellerisch eine elegant-frische Figur, stimmlich jedoch etwas zu viel Vibrato.. Dagegen muß Sophie Koch als indische Königin Selice im bieder-alternativen Schlabber–Look auftreten – überzeugt aber durch einen kernig-durchschlagenden Mezzosopran. Die sängerische Krone gehört aber Markus Brück, der mit samtenem Bariton der Figur des seiner indischen Königin treu ergebenen Dieners und Gefährten Nelusco einen menschlichen, wenn auch widersprüchlichen Carakter zu verleihen vermag. Seth Carico und Celems Biber ergänzen zuverlässig das Ensemble, das – diesem Operntypus geschuldet – allzu häufig sängerische Intensität durch Lautstärke ersetzt.
Doch daß die stürmische Seefahrt des Vasco da Gama auf der Bühne der Deutschen Oper kaum Attraktivität oder Spannung gewinnt, geht zu Last der Regie:  Vera Nemirova kommt über konventionelles Arrangieren nicht hinaus. Unter einer halbrunden Kuppel, deren Segmente auch als Segel gedreht werden können, einem hochklappbaren Boden mit aufgemalter Weltkarte und Kostümen im Look der 1950-er Jahre werden Chor und Solisten vorwiegend so postiert, daß sie vor allem den Dirigenten im Blick haben.  Fades Rampentheater, aufgemotzt mit ein paar Papierschiffchen und exotisch-roten Blütenblättern
Die Deutsche Oper will Giacomo Meyerbeer erneut zur Diskussion stellen. „Vasco da Gama“ war der Beginn, „Die Hugenotten“ und „Der Prophet“ sind in den nächsten Spielzeiten geplant. Doch so altbacken inszeniert, wird dauerhafter Erfolg sich nur schwer einstellen.

Foto: Bettina Stoess / Deutsche Oper Berlin

Premiere: 04.Oktober, weitere Vorstellungen:07./11./15./18./24.Oktober 2015