3 Temperamente: „Duato/Kylián/Naharin“ – Das Staatsballett in der Deutschen Oper***

Der tschechische Tänzer und Choreograph Jiri Kylián hat das „Nederlans Dans Theater“ (NDT) unter seiner Direktion zum kreativsten und bedeutensten Zentrum für zeitgenössischen Tanz in Europa entwickelt. Obwohl er – zusammen mit Hans van Manen – die meisten und wichtigsten Werke des Ensembles inszeniert hat, suchte er immer wieder neue Talente an das berühmte Haus in Den Haag zu verpflichten: der Spanier Nacho Duato und der Israli Ohad Naharin gehörten unter anderen dazu.
Verständlich, daß Duato, nachdem er vor einen guten Jahr die Leitung des Berliner Staatsballets übernommen hat, Werke seines Mentors Kylián oder dem alten Kollegen Ohad Naharin in seine Spielpläne aufnimmt. Schade nur, daß es sich dabei – bisher – nur um ältere Stücke (natürlich frisch einstudiert) handelt. Doch mit Werken, die schon auf anderen Bühnen zu sehen waren, kann ein Ballet-Ensemble kaum international ausstrahlendes Profil gewinnen – dafür sind Neuschöpfungen notwendig, die dann zugleich auch herausragende Tänzer-Persönlichkeiten formen.
Insofern steht der erste Ballett-Abend von Duatos zweiter berliner Spielzeit unter einem leichten Vorbehalt. Drei „alte“ Stücke, alle etwa 30-40 Minuten lang, sind zu sehen: zunächst Nacho Duatos eigene, düstere Männertragödie „Castrati“ (2002, Santander), dann das heiter-abstarkte Bewegungs-Divertissement „Secus“ von Ohad Naharin (2005, Tel Aviv) und als Abschluß Jiri Kyliáns vielgespieltes Beziehungsdrama „Petit Mort“ (UA: 1991, NDT für die Salzburger Festspielen).
1.  „Castrati“ dramatisiert die Leiden einen jungen Mannes im 18.Jahrhundert, der für die Sänger-Laufbahn kastriert wird. Ein düstere Gruppe Männer in langen schwarzen Mänteln drangsaliert ihn mit kraftvoll ausladenden Bewegungen, grundiert von Vivaldi-Musik. Am Ende geht der Junge nackt und mit rot-blutenden Händen zu Boden. Wei Wang verleiht diesem Gequälten seine zarte Figur.
2. Ohad Naharins „Sucus“ ist der (eigenständige) Schluß-Teil einer umfangreicheren Choreographie, in der ein neuartiger Bewegungsstil erforscht wird, mit dessen Hilfe Naharin versucht, die klassisch-streng geformten Schritte und Drehungen aufzulösen in nicht ganz kontrollierbare und deshalb natürlich wirkende, individuelle Bewegungen. 16 Tänzerinnen und Tänzer in bunten Trainings-Klamotten ruckeln, kreiseln, springen und umtanzen sich in lockeren Formationen und unterschiedlichen Kombinationen – offensichtlich mit viel Spaß und einem ironischem Augenaufschlag. Auch wenn sie manchmal wie kleine Roboter über die kahle Bühne purzeln – besonders das jugendliche Publikum klatscht begeistert. Sicherlich auch wegen der ziemlich lauten Pop-Musik aus den Lautsprechern!
3. Jiri Kyliáns „Petit Mort“ wirkt demgegenüber etwas konventionell. Sechs hautfarbene Tänzerpaare liefern sich im dunkel gehaltenen Bühnenraum unterschiedliche Geschlechterkämpfe. Im Programmheft erläutert Kylián: „Petit Mort“ ist eine poetische und bemerkenswert treffende Art, die Extase einer sexuellen Vereinigung zu beschreiben. Im Französischen und in einigen anderen Sprachen wird diese Empfindung als „kleiner Tod“ bezeichnet.“ Entsprechend zwiegespalten agieren die einzelnen Paare, innig oder rauh, zärtlich oder melancholisch. Und ein bißchen  kunstgewerblich – aller elegant-fließenden Bewegung und der (ausschließlich sanften) wunderbaren Mozart-Musik zum Trotz.
Der gesamte Abend wird vom Ensemble des Staatsballetts überzeugend getanzt – die großen Stars allerdings sucht man vergebens.

Foto: Yan Revazov/Staatsballett Berlin/ „Secus“ von Ohad Naharin

Premiere: 22.Oktober 2015, weitere Vorstellungen: 23./27.29.Okt.//04./20.Nov.2015 in der Deutschen Oper Berlin