Brillante Tänzer, gemischte Gefühle: Das Nederlands Dans Theater im Haus der Berliner Festspiele****

Das „Nederlands Dans Theater“ NDT, gegründet 1959, eroberte sich besonders durch die Choreographen Hans van Manen und Jiri Kylián einen Spitzenplatz unter den zeitgenössischen Tanz-Ensembles. Nach deren Rückzug bestimmt heute eine neue Generation die Weiterentwicklung der Haager Bühne; seit 2011 ist der Brite Paul Lightfood künstlerischer Direktor des Tanztheaters, dem er seit den 1980er Jahren als Tänzer und Choreograph angehört. Zusammen mit seiner Frau, der Spanierin Sol León, hat er seitdem zahlreiche Tanz-Stücke  für sein Haus entworfen und erarbeitet.
Zwei davon -  „Shoot the Moon“ und „Stop-Motion“  -  sind jetzt bei einem viertägigen Gastspiel in Berlin zu sehen (28.-31.Oktober). Sie werden in den jeweils 3-teiligen Abendprogrammen ergänzt durch ein Werk der bevorzugten Haus-Choreographen – in den beiden ersten Vorstellungen ist das „Thin Skin“ des Deutschen Marco Goecke, in den beiden anderen „Solo Echo“ der Kanadierin Crystal Pite.
Der dritte Abend, den ich besuchte, begann mit „Shoot the Moon“, einem 25-minütigen Stück für 2 Tänzerinnen und 3 Tänzer – eine Art Liebes-Reigen mit wechselnden Paaren, die sich einander zuneigen oder abwenden, mal sehnsüchtig und hoffnungsvoll, mal abweisend und vereinsamend. Dazu hat das Choreographen-Paar Sol León/Paul Lightfoot ein fazinierendes Bühnebild entworfen: eine Abfolge unterschiedlicher Zimmer mit dunkelgemusteter Tapete, manchmal mit Fenster, manchmal nur mit Türen, durch die die Tänzer eilen oder (einmal) gar hechten.  Schnelle Schritte, wirbelnde Drehungen, meistens gerade gestreckte Arme oder spagatartig hochgezogenes Bein. Das rasante Tempo und das dämmrige Licht nimmt dem Paar-Wechsel das Pathos, verleiht stattdessen dem Liebes-Spiel eine dunkel-chargierende Skurilität. Für dramatischen Fluß sorgt die Minimal-Music von Phil Glass, dabei zeigen einfallsreiche Live-Videos die Tänzer manchmal in einem gerade nicht einsehbaren Zimmer oder aus einer dem Bühnengeschehen gegensätzlichen Perspektive  – ein verblüffender Effekt. Getanzt wird mit furioser Perfektion.
Ganz anders das 20-Minuten-Stück „Solo-Echo“ von Crystal Pite. Ein düsterer Bühnenraum, im Hintergrund rieseln Schneeflocken oder Blätter, sieben Tänzer in dunlen (Soldaten-) Hosen und ärmellosen Shirts, deren Geschlecht durch diese Aufmachung kaum zu unterscheiden ist, zeigen vorwiegend eine gebückte oder gekrümmte Grundhaltung ihrer Körperr, verknoten sich immer wieder zur geschlossenen Gruppe, fallen dann jedoch auseinander. Einzelne Tänzer lösen sich ab, werden von der Gruppe wieder eingefangen – ein unerbittlich fließendes Bewegungs-Relief  zwischen Individuum und Gemeinschaft, melancholisch gefärbt durch Kammermusik von Johannes Brahms. Die Tänzer begeistern durch ihre virtuose Geschmeidigkeit  – eine irritirende und  in ihrer bildstarken Strenge überzeugende Choreographie.
Zum Abschluß: ein Absturz. In „Stop-Motion“ – 2014 von Sol León und Paul Lightfoot inszeniert – wirbeln 8 Tänzer in unterschiedlicher Paarung  buchstäblich Staub (vom Bühnenboden) auf. Zu wabernder Musik des britischen Komponisten Max Richter (Minimal plus Pop) soll es laut Programmzettel um „Abschied und Transformation“ gehen, doch zu sehen sind nur 36 Minuten leicht esoterisch angehauchten Leerlaufes. Mit einem Video-Großbild der Tochter des Choreographen-Paares als fast stummer Zuschauerin des durch allerlei Video- und LIchteffekte aufgepeppten Bühnengeschehens. Die Tänzer sind dennoch großartig.
Fazit: ein Flopp und zwei spannend-faszinierende, zeitgenössische Choreographien – alle drei durch fabelhafte Tänzer wirkungvoll und brillant präsetiert..

Foto: Rahi Rezavni/NDT („Stop-Motion“)