Prätenziös: ‚Carol‘ von Todd Haynes***

Nach dem Roman „The Price of Salt“, den Patricia Highsmith noch vor ihrer berühmten Krimi-Serie unter Pseudonym veröffentlicht hat: die Geschichte einer lesbischen Liebe.
Carol Aire, Frau eines reichen Bankiers, sucht in einem New Yorker Kaufhaus nach einem passenden Weihnachtsgeschenk für ihre kleine Tochter. Dabei trifft sie auf die junge Spielwarenverkäuferin (und angehende Fotografin) Therese, ordert auf deren Vorschlag eine Spielzeugeisenbahn an ihre Adresse und läßt – wie zufällig – ihre Handschuhe liegen. Daraus entwickelt sich eine zunächst nur platonische Affäre zwischen den beiden Frauen, die sich gegenseitig besuchen, bis es zum Streit zwischen Carol und ihrem eifersüchtig-selbstgefälligem Ehemann kommt, und sie daraufhin mit Therese eine Auto-Reise unternimmt, immer in Richtung Westen. Dabei kommt es erstmals zu sexuellem Kontakt zwischen den beiden Frauen. Doch der Ehemann hat – Verdacht schöpfend – einen Detektiv auf die Spur Carols gesetzt, und erpresst mittels eine Tonbandes nicht nur die Scheidung und gesellschftliche Ächtung Carols sondern auch das alleiniges Erziehungsrecht für die kleine Tochter – die schmerzlichste Prüfung für Carol, die sich deshalb auch abrupt von Therese trennt. Doch es kommt zu einem juristischen Kompromiß, dem Carol zustimmt, da er regelmäßige Treffen mit der Tochter garantiert, und sie nun in einer eigenen Wohnung in der Madison-Avenue ein Leben in Unabhängigkeit verwirklichen kann. Ob Therese dabei eine Rolle spielt, bleibt – im Film – offen…
Regisseur Todd Haynes („Far from Heaven“; „I’m not There“) hat nicht nur die Story ins New York der frühen 50er Jahre verlegt, sondern  auch den gesamten Film ganz in der Art jener Zeit gedreht: im Stil der Holywood-Melodramen à la  Douglas Sirk. Dieses Genre bestach durch die subtile Art, in der die untergründigen Widersprüche und  Risse einer anscheindend  wohlsituierten, bürgerlichen Gesellschaft bloßgelegt wurden.
Doch Haynes hat seine ganze künstlerische Phantasie auf die äußeren Erscheinungen jener Zeit gelegt. Scheinbar perfekt werden Räume und Kostüme der 50ger Jahre kopiert, mit raffinierten Tricks Häuser, Straßen, Autobahnen und Landschaften fotografisch reanimiert und erstaunlich echt bewegen und artikuliert sich das gut gecastete Schauspieler-Ensemble in diesem historischen Ambiente.
Cate Blanchett ist – ähnlich ihrer oscarprämierten „Blue Jasmin“ – die verwöhnte, kühl-blonde Bankiersgattin Carol, die einen sozialen und moralischen Absturz verkraften muß – diesmal selbstverschuldet durch ihre (zunächst mühsam unterdrückte) erotische Leidenschaft.  Rooney Mara als Therese ist schon äußerlich ihr Gegenteil: schmal, brünett, mädchenhaft zurückhaltend. Erst langsam entdeckt sie ihre sexuellen und beruflichen Ambitionen,
reift im Laufe der Affäre zum selbtbewußten Charakter. Dabei bleibt immer in der Schwebe, wer von beiden Frauen treibende Kraft oder unterliegendes Opfer ist.
Doch dieser Konflikt wirkt oberflächlich und berührt in dieser Form heute kaum, genau so wie die starre Gesellschaftsmoral der 50ger Jahre nur noch fern und blaß bleibt. Es gelingt der Inszenierung nicht, Aktuelles im Historischen sichtbar zu machen. Der psychologische Kern einer Außenseiter-Beziehung verschwindet hinter der aufwendig-üppigen Ausstattung. Statt eines kritisch-verstörenden Blicks auf menschliche Leidenschaften und hinter fragwürdige, gesellschaftliche Konventionen, präsentiert „Carol“ über weite Strecken lediglich ein opulent-effektvolles Moden- und  Geschmacks-Panorama im farbig-schicken Retro-Look. Mainstream-Kino im Kampf um den Oscar 2016.

Poster/Verleih: DCM Filmdistribution

zu sehen u.a.: Babylon Kreuzberg (OmU); Capitol Dahlem; Cinema Paris; CinemaxX Potsdamer Platz; CineStar Potsdamer Platz (OV); Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino (OmU); Kino in der Kulturbrauerei; Odeon (OmU); Yorck-Kino