Kindheits-Traumata: ‚Salome‘ in der Deutschen Oper Berlin***

Ein kühner und ehrgeiziger Versuch, die Oper „Salome“ von Richard Strauss – seit ihrer Uraufführung 1905 ein „unverwüstlicher“ Hit auf den internationalen Bühnen – neu zu sehen und ihr jegliche orientalische Kostümierung zu verweigern.
Regisseur Claus Guth und sein Team zeigen Salome als erwachsene Frau, die immer wieder von traumatischen Erinnerungen geplagt wird: an einen herrischen Stiefvater, der sie mißbrauchte, an eine Mutter, die wegsah.
Die Bühne ist zunächst dunkel, die Personen, auf unterschiedlichen Ebenen stehend, werden lediglich von einzelnen Scheinwerfern herausgeleuchtet. In der Mitte bewegt sich unruhig auf lackschwarzem Boden Salome in einem langen, weißen Kleid. Immer wieder umhuschen sie sechs gleichfall weißgekleidete Gestalten: es sind ihre Doubels in unterschiedlichnem Alter. Aus einem mächtigen Stoffhaufen schält sich – seine Verfluchungen ausstoßend – der Prophet Jochanaan, zuächst nackt, dann von den Salome-Doubles mit Hemd, Hose und Jacke bekleidet. Beim Auftritt des Herodes erhellt sich die Bühne schlagartig: zeigt ein mehrstöckiges Schneideraltelier mit Schränke voller grauer und beiger Anzuge, mit langen Regale dezent-farbiger Kravatten. Dazu ein paar Sofas von ebenso schlichter wie nüchtern-moderner Eleganz. Herodes, Herre über diese (Ver-)Kleidungs-(oder Verhüllungs-)Stücke, trägt Brille und grauen Anzug und sieht in diesem Outfit dem Jochanaan zum Verwechseln ähnlich.(Zumindest in Salomes Augen). Mutter Herodias tritt im schwarzen Hosenanzug und mit großer Geste auf, hält sich dann aber schnell zurück, verbirgt sich hinter Kabinen-Vorhängen. Den von ihrem Stiefvater gefoderten Tanz arrangiert Salome als (von Schatten-Menschen unterstützte) Performance, in die alle miteinbezogen werden: Stiefvater, Mutter und sie selbst samt ihren sechs Doubles. Am Ende wird einer der herumstehenden Schneider-Puppen der Kopf abgerissen, die Bühne versinkt wieder im Dunkel und Salome triumphiert mit dem abgeschlagenen Propheten-Haupt am (plözlich gleißend hellen) Familientisch.
Diese psychologische Tiefenbohrung – so phantasiereich und klug sie erdacht ist – bleibt in ihrer szenischen Umsetzung, die zugleich Ent- und Verschleierung sein soll, zu geheimnisvoll – vor allem für Zuschauer/Zuhörer, die die Oper kaum oder nicht kennen. Für „Salome“-Freunde können diese optischen Paraphrasen durchaus reizvoll sein, doch auch ihnen bleibt vieles rätselhaft und unerklärlich. Bei aller raffinierten Bild-Ästhetik und eleganten Personen-Regie, überfrachtet das gedankliche Konzept die unmittelbar-theatralische Wirkung, verschlankt die üppig-glutvolle Salome zu ihrem dünnblütig-blassen Double.
Besser kommen da der Dirigent Alain Altinoglu und das riesig besetzte Orchester der Deutschen Oper zurecht – kosten die farbige Pracht der Strausschen Musik schwelgerisch und klangschön aus. In der von mir besuchten, zweiten Vorstellung fiel die Sängerin der Salome aus – notgedrungen spielte die Choreographin der Produktion, Sommer Ulrickson, die Rolle auf der Bühne, während die kurzfristig eingeflogene Allison Oakes – am linken Bühnenrand postiert – Salomes Partie sang – mit großem, einhellig gefeierten Erfolg. Auch der Interpret des Joachanaan meldete ein Indisposition – stand den Abend aber dennoch beachtlich durch.
Heftige Buhs für die Inszenierung, viel Beifall dagegen für die Sänger und Musiker. Ein kluger Ansatz, der jedoch in seiner schwer deutbaren Bühnenfassung – absehbar – das Publikums überfordert.

Foto: Monika Rittershaus/Deutsche Oper Berlin

Premiere: 24.Jan.2016, weitere Vorstellungen: 29.Jan./03./06.Feb.//02./06.April 2016