Elegische Sommer-Idylle: ‚Jewgeni Onegin‘ in der Komischen Oper Berlin****

Regisseur Barrie Kosky und seine Bühnenbildnerin Rebecca Ringst haben die (Dreh-)Bühne der Komischen Oper fast naturalistisch in eine leicht hügelige Wiesenlandschaft mit kleinem Wäldchen verwandelt. Raffinierte Beleuchtung sorgt für wechselnde Stimmungen, vom Morgengrauen bis zur tiefen Nacht. Eine muntere Gesellschaft – pastellfarbene Sommerkleidern die Damen,  leichte Anzüge für die Herren – picknikt unter seidenen Sonnenschirmchen, während die Herrin des Anwesens und die Amme Marmelade in Gläser verteilen. Tochter Tatjana liegt im Gras und liest, ihre Schwester Olga tanzt und singt. Eine perfektes, sommerliches Idyll – ein russisch-impressionistisches „Frühstück im Grünen“.
So beginnt die Neuinszenierung von Peter Tschaikowski’s Oper „Eugen Onegin“, die 1879 in Moskau uraufgeführt wurde. Als „Lyrische Szenen“ hat der Komponist sein Werk bezeichnet, von Barrie Kosky in der geschilderten Wiesen-Landschaft mit feiner Melancholie nachempfunden. Seine Personenregie versteht es, durch phantasievolle Details in Haltung und Bewegung die literarischen Figuren des 19 Jahrhunderts wie lebendige Menschen von heute erscheinen zu lassen, von den fabelhaften Sänger-Darstellern mit großer Sensibilität in schöne Natürlichkeit übersetzt. Ein Beispiel für die liebevolle Charakterisierung der Personen: die unruhig-hektischen Armbewegungen Tatjanas und ihr nervöses Nesteln an Kleid als sie die Antwort Onegins auf ihren Brief erwartet oder: wie Onegin und Lenski mit Flasche in der Hand volltrunken zum Duell erscheinen, was die Sinnlosigkeit und Zufälligkeit des Duell-Ausgangs stark betont. Der Pistolenkampf findet im dunklen Wald statt – auf der Wiese die erregt-wartende Tatjana – sie (wie auch das Publikum) hört nur die beiden Schüsse, dann stürtzt der verwirrte Onegin aus dem Wald – „getötet“ – und flieht.
Durch das festegefügte (Einheits-)Bühnenbild muß Regisseur Kosky allerdings auf die Ballszenen des 3.Aktes im fürstlichen Palast von St.Petersburg verzichten,. Stattdessen arrangiert er einen kleinen Stehempfang zwischen klassischen Salon-Wänden, und – nach deren Entfernung durch Bühnenarbeiter – spielt die letzte Auseinandersetzung zwischen Onegin und Tatjana, die inzwischen die Gestik einer selbstbewußten Frau und Dame der Gesellschaft sich angeeignet hat, wieder im Freien auf der Wiese. Diesmal jedoch – etwas plakativ den Verzicht und die Trennung der Liebenden betonend -  im strömenden Regen.
Beglaubigt wird die realistisch-impressionistische Inszenierung durch die Musik. Chefdirigent Henrik Nánási verbindet – sehr fein abgestuft – die lyrischen Momente mit den dramatisch zugespitzten
Szenen, das Orchester folgt ihm delikat in den solistischen Passagen, klangprächtig in den berühmten Instumental-Nummern (Polonaise, Ecossaisen). Günter Papendell ist ein attraktiver, blonder Onegin mit füllig-geschmeidigem Bariton, Asmik Grigorian eine berührende Tatjana, ein slavischer Sopran mit leichter Schärfe, aber ungemein ausdrucksstark. Karolina Gumos als dunkel timbrierte Olga, Ales Briscain als hell-tenoraler Lenski, der etwas steife Alexey Antonov als Fürst Gremin und vor allem Margarita Nekrasova als dunkelstimmige, warmherzige Amme Filippewna ergänzen (neben anderen) bestens das vorzügliche Ensemble – wobei der Klang der russischen Sprache Tschaikowskis melancholisch-gefühlvolle Musik erst zu ihrer vollen Wirkung bringt.
Dieser stimmungsvolle, russische „Onegin“ dürfte ein weiterer Publikumsrenner im vielfältigen Spielplan von Barrie Koskys Komischen Oper werden.

Foto: Komische Oper Berlin//Iko Freese/drama-berlin.de

Premiere: 31.Jan.// weitere Vorstellungen: 03./06./26./28.Feb.//03./12.März// 06.Juli 2016