Mein Berlinale-Tagebuch 2016

1. HAIL, CAESAR!     Joel & Ethan Coen (außer Konkurrenz) ***
Satire auf das Hollywood-Kino der 1940/50-er Jahre – einer Zeit in der mächtige Studiobosse das Filmgeschäft dominierten. Parodiert und ironisiert werden die unterschiedlichen Genres wie Sandalen-Opus, Western oder Melodram, die Allüren von Produzenten, Regisseuren und vor allem von Stars, aber auch die angebliche Unterwanderung Hollywoods durch die Kommunisten. Die zahlreichen Stars, angeführt von Georges Clooney als dämlich-römischem Feldherrn-Darsteller,  chargieren mit Lust, die Dialoge sind meist flott, die Ausstattung üppig und die beiden Regisseure garnieren die unterschiedlichen Geschichten vom schauspielerisch unbegabten Westernhelden, der zickigen Wasserballett-Diva oder dem von Clooneys Entführung überforderten Produzenten mit allerlei bildlichem Witz oder hübschen Tanzszenen á la Gene Kelly. Doch der Spaß hat seine Grenzen : die vielen „guten“ Zutaten mischen sich nicht, zerbröseln in nette Einzelheiten. Der Film „langweilt auf immerhin amüsante Weise“ (Harald Martenstein im „Tagesspiegel“)

2. MIDNIGHT SPECIAL     Jeff Nichols **
Der konventionell erzählte Hollywood-Film vereint mehrere Genres: zuächst einen Action-Krimi mit rasanten Auto-Verfolgungen zwischen Texas und Louisiana – der mit magischer Augen-Kraft ausgestatte, achtjährige Alton Meyer, aufgewachsen in einer sektenähnlichen Gemeinschaft, wird entführt. Dann eine anrührende Familien-Story: der Junge ist von seinen eigenen Eltern, die ihn nur beschützen wollen, gekidnappt worden.  Schließlich eine moderen Sience-Fiction-Variante : der Junge wird von Wesen, die oberhalb der Erde hausen sollen, unter Blitz und Erdbeben „heimgeholt“ – d.h. er verschwindet einfach in einer weiten, flach-sumpfigen Landschaft. Die ihn mitjagenden Sektenmitglieder, wie die Polizei, laufen buchstäblich „ins Leere“. Temporeich und spannend inszeniert, attraktiv fotografiert und gut besetzt (Michael Shannon; Kirsten Dunst), aber zur Parabel (auf wen oder was auch immer) taugt dieses „Mitternächtliche Spezial“ um (auf der Leinwand) niemals sichtbare Aliens kaum – außer „Action“ und  „Family-Love“ nichts gewesen. Allem filmischen Realismus zum Trotz: gelegentliche Lacher im Publikum!

3  L‘ AVENIR     Mia Hansen-Love****
Isabelle Huppert verkörpert mit der ihr eigenen Intensität die ehemals linke, jetzt liberal-bürgerliche Lehrerin Nathalie, die Philosophie an einem Pariser Gymnasium unterrichtet. Zunächst läuft alles harmonisch, doch langsam häufen sich die Kathastrophen. Ihr Mann verläßt sie und zieht aus, ein guter, jugendlicher Freund verläßt Paris und zieht aufs Land, die Mutter muß erst ins Seniorenheim, dann stirbt sie, die beiden erwachsenen Kinder führen ihr eigenes Leben. Das Älterwerden, die Einsamkeit nahen – mit viel Selbstdisziplin bewahrt Nathalie ihre Haltung. Der Film der französischen Regisseurin Mia Hansen-Love enthält sich jeder Larmoyanz, erzählt seine Geschichte in knapper Szenenfolge, elegant ins Bild übertragen und mit schönem Witz unterlegt – statt Mann und Kindern bleibt der einsam Gewordenen am Ende nur der (ungeliebte) Kater iher verstorbenen Mutter.

4. MAHANA (The Patriarch) Lee Tamahori (außer Konkurrenz)****
Familien-Saga eines Maori-Clans im Neuseeland der 1950er Jahre.  Mit brutaler Strenge herrscht der  alte Mahana über seine zahlreichen Söhne, Töchter und deren Ehepartner und Kinder, alle eingespannt in das unter harten Bedingungen aufgebaute Schafzucht-Unternehmen. Erst der 14-jährige Enkel Simon wagt, sich dem autoritären Großvater entgegenzustellen… Regisseur Lee Tamahori hat viele Jahre in Hollywood erfolgreich gearbeitet und entfaltet – in seine Heimat zurückgekehrt – eine ebenso prachtvolles wie anrührendes Familien-Epos – ganz im Stil des alten amerikanischen Western – nur statt schneller Pistolen-Duelle führt hier der wilde Wettbewerb um die rasanteste Schafschur zum filmischen Happy End.

5. FUOCOAMMARE     Gianfranco Rosi**
Der Titel des Films bezieht sich auf eine Musikstück, das sich eine alte Einwohnerin der Insel Lampedusa  als Wunschmusik im Radio wünscht – ein Stück „normales“ Leben auf diesem Iland zwischen Lybien und Sizilien, das als Ziel überwiegend afrikanischer Migranten seit einigen Jahren in die internationalen Schlagzeilen geriet. Der italienische Dokumentarfilmer Gianfranco Rosi zeigt zwei Seiten von Lampedusa: zum einen den (nachgestellten) Alltag des 10-jährigen Samuel und seiner Familie (Schule, Arztbesuch, Fischfang), zum anderen echte Dokumentaraufnahmen vom Auffinden von Flüchtlingsbooten auf dem Meer durch Militärschiffe und wie diese erschöpften Menschen ans Land und in Auffanglager gebracht werden. Doch eine Korrespondenz zwischen diesen Welten – ob sie sich wahrnehmen und wie – , das wird im Bild nicht gezeigt, das muß sich ein williger Zuschauer denken oder erahnen. Insofern bleibt diese Halb-Dokumantation unbefriedigend und ein verschenktes Thema.

6. 24 WOCHEN Anne Zohra Berrached****
Astrid Lorenz ist erfolgreiche TV-Kabaretistin, ihr Lebensgefährte Markus managt sie. Beide wohnen mit ihrer kleinen Tochter in einer modernen, schicken Vorstadt,  Astrids Mutter hielft gelegentlich im Haushalt mit, auch ein Kindermädchen erleichtert den berufstätigen Eltern das Leben. Ein zweites Kind wird freudig erwartet, bis die ärzliche Diagnose das Baby erst als mongoloid, später noch als herzgeschädigt erkennt. Eine Abtreibung oder ein behindertes Kind aufziehen? Freunde und Bekannte haben unterschiedliche Meinungen dazu – beide Elternteile stürzen in tiefe Verwirrung, schwanken in ihrer Meinung, bis Astrid sich für die in Deutschland mögliche Abtreibug nach der 24.Schangerschaftswoche entscheidet, das Kind wird dabei getötet.
Der Film der jungen Hochschulabsolventin Anne Zorah Berracheds ist keine Diskussion über das Thema Abtreibung, sonder konzentriert sich ganz auf die psychologische Entwicklung Astrids, auf ihr Erschrecken, ihre Verwirrung, ihre Angst und Unsicherheit, ihre Suche nach Hilfe bei Mann, Freunden oder Mutter und schließlich die Erkenntnis, daß nur sie allein entscheiden will und muß.
Ob diese Entscheidung richtig oder falsche war, vermag sie später selbst nicht zu sagen: vielleicht, meint sie, ein bißchen von beidem. Der Film bleibt seinen Personen ganz nah: Handkamera und Großaufnahmen (auch von Details) werden bevorzugt und im Gesicht der großartigen Schauspielerin Julia Jentsch wird jede Regung Astrids sicht- und auch nachvollziebar. Anrührendes Kino aus dem intimen Blick einer Frau.

7. QUAND ON A 17 ANS André Téchiné****
Eine kleine Stadt in den französischen Pyrenäen. Thomas und Damien, beide 17 Jahre sind  Einzelgänger in ihrer Klasse. Thomas ist der adoptierte Sohn, wohl nordafrikanischer Herkunft,  auf einem abgelegenen Bauernhof, Damien das Kind der Landärztin, der Vater dient in der Armee und ist daher oft abwesend. Geschildert wird in realistischen Bildfolgen, die eindrucksvoll die Berg-Landschaft und ihre wechselnden Jahreszeiten miteinbeziehen, das schwierige Coming-out der beiden jungen Männer, die vielen psychologischen Windungen, ihre schwule Veranlagung zu erkennen und dann damit zurechtzukommen. Die Rolle ihrer Umwelt (Schule, Lehrer, Eltern) spielt dabei nur eine Nebenrolle – außer der klarsichtigen und tatkräftigen Mutter Damiens, die immer wieder hilfreich den Prozeß des Erwachsenwerdens unterstützt. Altmeister André Téchiné weiß seine trefflich besetzten jugendlichen Darsteller überzeugend in Szene zu setzen  – und Sandrine Kiberlain ist als Land-Ärztin und Mutter ebenso patent wie natürlich. Daß die Story dramaturgisch ein wenig grob und vorhersehbar getrickt ist, wird durch die Eleganz der Inszenierung geschickt überspielt.

8. ALONE IN BERLIN   Vincent Perez***
Nachdem vor ein paar Jahren die erste englische Übersetzung von Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ (1946) sich zum Welt-Bestseller entwickelte, war klar, daß diesem Erfolg eine internationale Kino-Version folgen würde. Sie feiert jetzt bei der Berlinale ihre Premiere : in Babelsberg gedreht, in englischer Sprache und aus vielen deutschen und ausländischen Finanz-Töpfen gespeist. Herausgekommen ist eine sehr konventionelle, brave Nacherzählung für ein internationales Publikum. Die britischen Schauspieler Emma Thompson und Brendan Gleeson spielen das ältere Ehepaar Quangel, das mit dem heimlichen Verteilen von gegen Hitler gerichteten Postkarten im Berlin des 2.Weltkrieges seinen ebenso tapferen wie bescheidenen Widerstand leistete. Sie überzeugen, weil sie unter der Regie des Schweizer Vincent Perez jede Sentimentalität vermeiden und ihren Figuren so ein klares, sehr menschliches Profil verleihen. Problematischer die Figur des sie verfolgenden Gestapo-Fahnders Escherich (Daniell Brühl), der in dieser Fassung durch die Kartenaktion aufgerüttelt wird und sich erschießt. Ob der fernsehtaugliche Film und sein Thema heute noch  – oder schon wieder? –  ein internationales Publikum interessiert?

9. CHANG JIANG TU (Crosscurrent) Yang Chao****
Ein junger Kapitän fährt auf einem alten, rostigen Lastkahn den Jangtse flußaufwärts – von Shanghai über den mächtigen Drei-Schluchten-Staudamm bis zur Quelle. Er hat soeben seinen Vater nach einem seltsamen chinesischen Ritual (mit schwarzem Fisch) beerdigt und sehnt sich nach einer bestimmeten Frau, die ihm aber nur ab und zu am Ufer oder auf einem gegenläufigen Schiff erscheint. Die phantstische Fahrt durch atemberaubende Landschaften – blaustichig, nebelverhangen – wird mit allerlei Gedichten und philosophischen Sentenzen (als Schriftbilder) ausgeschückt, der Kapitän trifft in einer verfallenden Pagode auf Buddah-Stimmen oder er begegnet seiner Wunsch- Frau in einem gespenstischen, verlassenen Inseldorf, wobei immer ein raffinierter Kontrast zwischen Realität und Phantasie sich magisch entfaltet. Ob Poesie oder Kitsch – für den mit der chinesischen Kultur nicht vertrauten Zuschauer bleibt der von mächtig aufrauschender Musik untermalte Film über weite Strecken ein merkwürdiges – wenn auch ein optisch überaus attraktives Rätsel.

10. CHI-RAQ   Spike Lee (außer Konkurrenz)***
Bandenkämpfe unter Schwarzen im heutigen Chicago, hochgepeitscht von Sex, Drogen und Waffen. Nach dem Tod eines Kindes bildet sich ein Front taffer Frauen: No Peace, no pussy! Lysistrata lässt grüßen. Gefilmt im Stil eines tubulenten, effektvollen Musicals – es wird viel gesungen, gerappt, getanzt und in gereimten Dialogen gesprochen. Eine szenisch einfallsreiche, schrill-bunte Show mit fabelhaften, fast ausschließlich schwarzen Darstellern, aber doch sehr vordergründig und allzu – wenn auch gut gemeint – agitatorisch-plakativ.

11. GENIUS   Michael Grandage****
Die – historisch verbürgte – kreative Beziehung zwischen dem Verleger Max Perkins und dem Schriftsteller Thomas Wolfe. Wie die beiden charakterlich so unterschiedlichen Männer im Jahr 1929  aus einem überbordenden Manuskript den Welterfolg „Schau heimwärts, Engel“ filterten, wie sie an einem weiteren Roman („Von Zeit und Fluß“) arbeiteten und wie darüber die privaten Beziehungen der beiden zu ihren Frauen und Familien großen Schaden nahm: Der eigentlich unfilmische Stoff wird von dem britischen Theatermann Michael Grandage geschickt in Szene gesetzt und durch die beiden hervorragenden Darstellern bestens beglaubigt: Colin Firth als zurückhaltender, eher puritanischer Verleger, Jude Law als exzentischer, selbstgefälliger Dichter.  Ein intelligent-unterhaltsames Kammerspiel für Literaturfreaks und  Freunde subtiler Schauspielkunst.

12. KOLLEKTIVET (The Commune)  Thomas Vinterberg***
Der Titel (der in der deutschen Fassung mit „Die Kommune“ übersetzt wird, Kinostart: 21.April) erweckt falsche Erwartungen. Es geht nicht um linkspolitische Wohn- und Lebensgemeinschaften. Sondern: Erik (Ulrich Thomsen), Archtektur-Professor in Kopenhagen und Anna (Trine Dyrholm), Nachrichtensprecherin beim dortigen Fernsehn, beide so um die 40, erben eine stattliche Villa. Da dieses Haus zu groß für das Paar und seine 14jährige Tochter Freija ist, werden Freunde und Bekannte zum Mitbewohnen eingeladen. Zunächst ein fröhliches Kollektiv: Zusammen wird gegessen, getrunken und gefeiert, schließlich spielt die Geschichte in den 1970er Jahren. Doch als Erik ein Verhältnis mit seiner Studentin Emma eingeht, kommt der Hausfrieden ins Wanken. Zwar gibt Anna sich zuerst cool und ist sogar einverstanden, daß Emma mit ins Haus zieht, doch dann bricht sie zusammen. Nach qualvollen Wochen verläßt sie auf Rat ihrer Tochter Villa und Gemeinschaft. Regisseur Thomas Vinterberg, Mitbegründer der dänischen Dogma-Bewegung, hat die ürsprünglich strengen Regeln dieser Theorie stark gemildert und einen – in seiner Machart – sehr konventionellen Film gedreht, in dem das titelgebende Kollektiv lediglich den Hintergrund für eines der üblichen Ehedramen abgibt. Anfangs schildert der Film mit einigem Witz die Marotten der   Wohngemeinschaft, später dominiert die eheliche Dreiecks-Story. Wobei Spannung und Interesse des Zuschauers vor allem durch das intensive Spiel von Trine Dyrholm als der grundlos verlassener Ehefrau geweckt werden. Nicht das Kollektiv, sondern sie allein trägt den Film.

13. ZJEDNOCZONE STANY MILOSCI  (United States of Love)  Tomasz Wasilewski***
Plattenbau-Silos am Rande einer polnischen Kleinstadt. In ausgebleichten Farben schildert der Regisseur Tomasz Wasilewski (geb.1980) das freudlose Dasein von vier Frauen. Agata, verheiratet, eine halbwüchsige Tochter, hat sich erfolglos in den hübschen Priester verliebt, die Schuldirektorin Iza quält sich als unglückliche Geliebte eines Arztes, die einsame Lehrerin Renata sucht verzweifelt die Freundschaft zu ihrer Wohnungs-Nachbarin Marzena, einer Aerobic-Trainerin, die von einem Leben als Model träumt (und vorerst nur ausgenützt wird). Diese frustrierenden Liebes- und Sex-Geschichten spielen Anfang der 1990er Jahre, vom Aufbruch wie in den umliegenden Ex-Ostblock-Ländern ist in dieser winterlich-trostlosen Gegend Polens noch nichts zu spüren. Kühl und distanziert – mal mit erregter Handkamera, mal in lang stehenden Einstellungen – führt der Film seine Personen und ihre Umwelt vor, den tristen Alltag im „sozialen Realismus“, eine erstarrte Gesellschaft zwischen Kirche und „Fick-Zellen“. Ein filmisch kunstvoller Rückblick ohne Nostalgie: Vergangenheits-Bewältigung oder Mahnung für heute?

14. STAINT AMOUR  Benoit Delepine/Gustave Kervern (außer Konkurrenz)**
Gérard Depardieu spielt einen Landwirt und Viehzüchter im Rentneralter, der mit seinem erwachsenen Sohn und Nachfolger (Benoit Poelvoorde) eine Reise durch die französischen Weingebiete unternimmt. Im Sommer – auch wenn häufig dunkle Wolken den Himmel bedecken – und im Taxi. Es wird reichhaltig gegessen, gesoffen und gevögelt – mit allerhand überraschenden Nebenwirkungen, an denen auch der junge Taxifahrer kräftig mitmischt. Das eigentliche Ziel der Reise, nämlich das schlechte Verhältnis von Vater und Sohn zwecks Nachfoge auf dem Hof zu verbessern, gelingt unerwartet gut: eine für alle drei Männer passende Reiterin (in jeder Beziehung!)reist mit zurück aufs heimische Gut. Eine derbe Komödie, in der auf jede „gender corectness“ großzügig verzichtet wird, um dafür die nach wie vor männliche Präsenz von Gérard Depardieu und die Clownerien seines belgischen Partners Benoit Poelvoorde effektvoll auszustellen –  ein draller Spaß. Ein Frankreich-Trip, der trotz witziger Bild- und Text-Einfällen für feinere Gemüter Geschmackssache bleibt.

15. CARTAS DA GUERRA  Ivo M. Ferreira****
António Lobo Antunes, einer der bekanntesten Schriftsteller Portugals, leistete in seinen jungen Jahren Militärdienst als Arzt in Angola, einer der letzten Kolonien seiner Heimat (1971 – 73). Er hatte kurz zuvor geheiratet und schrieb seiner jungen Frau, die ein Baby erwartete, lange Briefe aus dem afrikanischen Lager. (2005 wurden sie veröffentlicht). Der Film von Ivo M. Ferreira entwickelt daraus eine reizvolle, wenn auch komplizierte Doppel-Struktur. Aus dem Off hört man die Stimme der Frau, die die an sie gerichteten Liebes-und Sehnsuchtsbriefe liest, während man im Bild  nachgespielte Szenen aus dem Leben der Soldaten – unter ihnen Antunes (Miguel Nunes) als Sanitäter und Arzt – in den einfachen Zelt- und Barackenlagern im angolanischen Busch sieht. Alle Bilder sind in stark verschattetem Schwarz-Weiß gehalten: der dumpfe Militär-Alltag, die Verwundeten auf beiden Seiten, die ungewohnte, geheimnisvolle Natur, die steigende Unzufriedenheit und Angst unter Offizieren wie Manschaften. Demgegenüber die Briefe, die die Sehnsucht des Autors nach seiner Frau und dem zu erwartenden Baby durchziehen, aber auch sein sich immer mehr vergrößerndes Befremden über die Rechtmäßigkeit des Kolonialkrieges und die Angst vor kommenden Katastrophen oder einem möglichen Tod. Ein kunstvolles filmisches Puzzle aus sich nur indirekt ergänzendem Bild und Ton, raffiniert gemischt, realistisch und poetisch zugleich, voll erhellender Melancholie.

16. A QUIET PASSION  Terence Davies (Berlinale Special)****
Bio-Pic über die amerikanische Dichterin Emily Dickinson (1830 – 1886). Als eine der bedeutensten Lyrikerinnen der USA wurde Emily Dickinson erst nach dem zweiten Weltkrieg entdeckt. Sie selbst wohnte zeit ihres Lebens zurückgezogen auf dem Anwesen ihrer Eltern in Amherst, Massachusetts.
Von ihren über 1700 Gedichten hat sie kaum etwas veröffentlicht, erst ihre Nichte gab den Nachlass, frei, wobei sie meist starke Eingiffe in die einzelnen Gedichte vornahm. Über Emilys Alltag ist nur wenig bekannt, so daß der Regisseur Terence Davies die einzelen Geschehnisse und Episoden für seinen zweistündigen Spielfilm vorallem aus den zahlreichen Briefe der Dichterin filterte. Der erste,
kürzere Abschnitt schildert Emilys frühzeitigen (krankheitsbedingten?) Abschluß ihrer Ausbildung auf dem Amherst-College und die Rückkehr ins Elternhaus, wobei sie sich schnell als selbstdenkende und zum Widerspruch neigende Tochter erweist. Der zweite Teil erzählt von ihrer platonischen Liebe zu einem verheirateten Pfarrer, vom Tod ihrer Eltern und vom eigenen, durch Krankheit bedingten Sterben. Elegant gefilmt in schöner historischer Ausstattung mit trefflichen Darstellern, die die Vorbilder knapp und plastisch charakterisieren können und die vor allem die Gedichte (oder auch Breifausschnitte) wunderbar zum Klingen bringen. Für Literatur-Freunde sehenswert.