Grau in Grau: ‚Morgen und Abend‘ in der Deutschen Oper Berlin***

Die Story: Im Morgengrauen wartet der Fischer Olai auf die Geburt seines Sohnes. Aus dem Nebenzimmer dringen ab und zu die Schreie seiner in den Wehen liegenden Frau. Olai vollzieht in Gedanken die Geburt des Sohnes mit. Die Hebamme überbringt die Nachricht vom glücklichen Ausgang: Mutter und Kind sind wohlauf. Wie soll der Sohn heißen? Johannes antwortet Olai. Viele Jahre später. Der Sohn Johannes hat sein Leben ebenfalls als Fischer verbracht. Jetzt – in der Abenddämmerung – ist er alt, sein toter Freund Peter, mit dem er gemeinsam auf Fang war, erscheint und plaudert mit ihm, ebenso sein tote Frau Erna. Als aber die (noch lebende) Tochter Sigune nach ihrem alten Vater schauen will, findet sie ihn mehr im Haus vor. Johnnes erkennt – gelassen und heiter -, daß er schon gestorben ist. Diese Geschichte erzählt der – vor einigen Jahren vielgespielte – norwegische Stückschreiber und Buchautor Jan Fosse in seinem im Jahr 2000 erschienen Roman „Morgen und Abend“, den er selbst für den österreichischen Komponisten Georg Freidrich Haas(geb.1953) zum Libretto umgestaltet hat. Haas hat – im Auftrag von Covent Garden London und der Deutschen Oper Berlin – ein zweiteiligen, aber pausenlos ineinander verschränktes Musiktheater von rund 90 Minuten Länge geschaffen. Die durchaus harmonisch empfundene Musik besteht aus langen, oszillierenden Klangflächen, die mal laut, mal leise an- und abschwellen, sich über kaum wahrnembare Viertel- oder Sechzehntel Tonstufen hoch- oder in die Tiefe schrauben. Darüber in gemäßigter Deklamation die Sänger-Darsteller, manchmal mit ariosen Einschüben. Zwei umfangreiche Schlagwerke, die rechts und links neben der Bühne aufgebaut sind, sorgen immer wieder für laut und kräftig dazwischen fahrende Akzente. Doch so vielschichtig und farbenreich die Partitur im Detail ausgearbeitet ist, insgesamt bleibt sich der Eindruck beim Zuhörer/schauer über die ganzen anderthalb Stunden recht ähnlich und scheint sich in leicht abgestuften Wiederholungen zu verlieren. Die Bühne ist ein offener, nur karg bestückter Raum mit heller Rückwand, auf die der deutsch-gesungene Text in unterschiedlichen Zeilen- und Buchstabenformen projeziert werden (und wegen ihrer Helligkeit nur schwer zu lesen sind). Eine frei stehende Türe, ein Bett, ein Stuhl und ein Boot – alles Grau in Grau. Ebenso farblos die Kostüme, deren einfacher Schnitt den 1950er Jahren entstammen könnte (Ausstattung: Richard Hudson). Graham Vick, der für die Inzenierung in London wie Berlin zeichnet, führt die Personen einsichtig, ruhig und klar, Dramatisches bleibt außen vor, karge Aktion in matter Farbe beherrscht die sich im Schneckentempo bewegende Dreh-Bühne. Olai, der Vater, der die Geburt seines Sohne verfolgt, ist als Sprechrolle angelegt: Klaus Maria Brandauer zeichnet ihn mit melodramatisch gesetztem Akzent als leicht dementen alten Mann. Dem in seinen Tod wandelnden Sohn Johannes verleiht der Sänger Christoph Pohl mit seinem (für diese Rolle) fast zu kräftig-kernigen Bariton markante Züge. Von den kleinen Nebenrollen wirkt Sarah Wegener als Hebamme am überzeugendsten (in ihrer zweiten Rolle als Tochter bleibt sie blasser), Will Hartmann ist der tenorale, tote Freund, Helena Rasker die verstorbene Ehefrau. Michael Boder leitet den unsichtbaren, Vocalisen singenden Chor (Einstudierung: William Spaulding) und das im Graben befindliche Orchester sorgt – zusammen mit den Akteueren auf der Bühne – für einen ausgeglichenen und ansprechenden Gesamteindruck dieser deutschen Erstaufführung von Georg Friedrich Haas‘ neuer Oper. Musiktheater zum Thema Tod, ohne jede religiöse Überhöhung, aber auch ohne „theatraliches“ Leben: purer Minimalismus, Grau in Grau. Premiere:29.April; weitere Vorstellungen: 03.,11.,22.Mai 2016