Grau in Grau: ‚Morgen und Abend‘ in der Deutschen Oper Berlin***

Die Story: Im Morgengrauen wartet der Fischer Olai auf die Geburt seines Sohnes. Aus dem Nebenzimmer dringen ab und zu die Schreie seiner in den Wehen liegenden Frau. Olai vollzieht in Gedanken die Geburt des Sohnes mit. Die Hebamme überbringt die Nachricht vom glücklichen Ausgang: Mutter und Kind sind wohlauf. Wie soll der Sohn heißen? Johannes antwortet Olai. Viele Jahre später. Johannes hat sein Leben ebenfalls als Fischer verbracht. Jetzt – in der Abenddämmerung – ist er alt, sein toter Freund Peter, mit dem er gemeinsam auf Fang war, erscheint und plaudert mit ihm, ebenso sein tote Frau Erna. Als aber die Tochter Sigune nach ihrem alten Vater schauen will, findet sie niemanden mehr im Haus vor. Johnnes erkennt, daß er gestorben ist – heiter und gelassen. Diese Geschichte erzählt der – vor einigen Jahren vielbeachtete – norwegische Stückschreiber und Buchautor Jan Fosse in einem Roman, den er selbst für den österreichischen Komponisten Georg Freidrich Haas zum Libretto umgestaltet hat. Haas hat – im Auftrag von Covent Garden London und der Deutschen Oper Berlin – ein zweiteiligen, aber pausenlos ineinander verschränktes Musiktheater von rund 90 Minuten Länge geschaffen. Die durchaus harmonisch empfundene Musik besteht aus langen, oszillierenden Klangflächen, die mal laut, mal leise an- und abschwellen, sich über kaum wahrnembare Viertel- oder Sechzehntel Tonstufen hoch- oder in die Tiefe schrauben. Darüber in gemäßigter Deklamation die Sänger-Darsteller, gelegentlich mit ariosen Momenten. Zwei umfangreiche Schlagwerke, die rechts und links neben der Bühne aufgebaut sind, sorgen immer wieder für laut und kräftig dazwischen fahrende Dramatische Akzente. Doch so vielschichtig und farbenreich die Partitur im Detail ausgearbeitet ist, der Gesamt-Höreindruck bleibt über die ganzen anderthalb Stunden sich ähnlich, scheint sich in leicht abgestufter Wiederholung zu verlieren. Die Bühne ist ein offener, nur karg bestückter Raum mit heller Rückwand, auf die der deutsch-gesungene Text in unterschiedlichen Zeilen- und Buchstabenformen projeziert werden (und wegen ihrer Helligkeit nur schwer zu lesen sind). Eine frei stehende Türe, ein Bett, ein Stuhl und ein Boot – alles Grau in Grau auf dem sich im Scheckentempo drehenden Boden. Ebenso die Kostüme, deren einfacher Schitt den 1950er Jahren entstammen könnte (Ausstattung: Richard Hudson). Graham Vick, der für die Inzenierung in London wie Berlin zeichnet, führt die Personen einsichtig, ruhig und klar, Dramatisches bleibt außen vor, karge Aktion in blasser Farbe beherrscht die Bühne. Olai, der Vater, der die Geburt seinen Sohne verfolgt, ist als Sprechrolle angelegt: Klaus Maria Brandauer verleiht ihr mit melodramatischen Akzent leicht demente Züge. Dem in den Tod wandelnden Sohn Johannes verleiht der Sänger Christoph Pohl mit seinem (für eine alten Mann) fast zu kräftig-kernigen Bariton markante Züge. Von den kleinen Nebenrollen wirkt Sarah Wegener als Hebamme am überzeugendsten (in der Rolle der Tochter bleibt sie blasser), Will Hartmann ist der tenorale, tote Freund, Helena Rasker die verstorbene Ehefrau. Michael Boder leitet den unsichtbaren, Vocalisen singenden Chor und das im Graben befindliche Orchester und sorgt für – zusammen mit den Akteueren auf der Bühne – für einen ausgeglichenen und ansprechenden Gesamteindruck dieser deutschen Erstaufführung von Georg Friedrich Haas‘ neuer Oper. Musiktheater zum Thema Tod, ohne jede religiöse Überhöhung, aber auch ohne „theatraliches“ Leben: purer Minimalismus, Grau in Grau.