Flott getwittert: ‚Der Barbier von Sevilla‘ in der Komischen Oper Berlin****

Barbier1Liebe im Zeitalter des Internets. So interpretiert der junge russische Erfolgs-Regisseur Kirill Serebrennikov die  200 Jahre alte, bis heute höchst populäre Opera buffa „Il barbiere di Sevilla“ von Gioachino Rossini. Bestens unterstützt vom gut gelaunten, mitagierenden Dirigenten Antonello Manacorda, dem Chef der Kammerakademie Potsdam.

Bei Rossini geht die Geschichte so: Graf Almaviva ist verliebt in Rosina, dem Mündel des Dr.Bartolo. Doch der alte Zausel hat selbst ein Auge auf die gutbetuchte Rosina geworfen. Doch mit Hilfe des schlauen Barbiers Figaro und durch allerlei Verkleidungs – und Vertuschungs-Manöver ertricksen sich  Almaviva und Rosina ein fröhliches „Happy End“ mit anschließender Hochzeit.

In der Komischen Oper ist Rossinis Komödie jetzt in der Gegenwart gelandet. Almaviva, in Jeans und Kapuzenpulli, singt sein Ständchen zur E-Gitarre und postet die Aufnahme sofort an Rosina, deren Foto bei Facebook auf der Bühnenrückwand zu sehen ist. Auch später verkehren die beiden Verliebten so häufig über Smartphone, daß der strenge Figaro im schwarzen Gothic-Look sich genötigt sieht, ihnen die Geräte aus der Hand zu nehmen, um so die fällige Umarmung zu ermöglichen. Überhaupt: sogar die herbeigerufenen Polizei zieht das Smartphon aus Tasche, um noch schnell ein Selfie mit dem sich zu erkennen gebenden Grafen Almaviva zu schießen.

Gegenüber dieser vernetzten Welt der jungen Leute stehen die Alten: Dr. Bartolo ist ein Antiquar – schütteres Haar, graue Strickjacke – inmitten erlesener Gemälde und wertvoller Möbel, lediglich über einen Flachbildschrim flimmern aktuelle Informationen aus aller Welt in die schmale Stube. Auch der Musiklehrerlehrer Basilio ist Kavalier alter Schule und leicht verliebt in seine Schülerin Rosina, aber auch einem kleinen Schnäpschen nicht abgeneigt – was Figaro und Almaviva Gelegenheit bietet, den Alten geschickt auszumanövriren. In diese stilvolle Umgebung passt allerdings nicht Almavivas ursprünglicher Trick, als verkleideter Soldat sich in Bartolos Haus einzuquartieren: um in heutigen Tagen den entsprechenden Schock bei dem alten Antiquar zu erzielen, erscheinen Almaviva und seine Mannen als arabische Flüchtlings-Krieger verkleidet, die sofort mit ihren Gebetsteppichen den kleinen Haushalt in Bedrängnis bringen. Und als dieser böse Trick mißlingt, erscheint  – in einem weiteren Versuch –  Almaviva als Aushilfs-Musiklehrer im grellen Outfit einer Conchita Wurst. Rosina, erst in legerer roter Trainingshose (mit Streifen), später im schicken ‚kleinen Schwarzen‘ nimmt im Gegensatz zu ihrem Vormund dies alles gelassen hin und weiß ihre Lage mit List und Handy geschickt zu ihren Vorteil zu nutzen – Glück für sie, Pech für  Dr.Bartolo, den in dieser Sichtweise eine leise Tragi-Komik umflort.

Nicht jeder Gag dieser Neu-Produktion zündet, nicht jeder Einfall überrascht – etwa die kurzen, schwarz-weissen Nachspiele der beiden rasanten Finali. Aber insgesamt gelingt dem russischen Regieteam eine frische Sicht auf eine alte Geschichte, voller Ironie und satirischen Seitenhieben auf heutige Befindlichkeiten.

Und Rossinis Musik – so schwungvoll und federnd wie unter Antonello Manacorda gespielt – begeistert nach wie vor durch  ihre koloraturgespickten Arien und raffinierten Ensembles von hinreißender Vitalität. Die Sänger der Komischen Oper halten da bestens mit. Tansel Akzeybek ist mit hellem Tenor der lässig-lockere Almaviva, Nicole Chevalier eine schlaue, selbstbewußt perlende Rosina und Dominik Köninger mit Hipster-Bart und modisch-gestyltem Dutt beweist sich als baritonaler Maitre de Plaisir, der geschickt seine Fäden zieht. Zwei lustige Nebenrollen: der ein bißchen begriffs-stutzige Musiklehrer Basilio von Tareq Nazmi und die watschelnde, gut gepolsterte Haushälterin Berta der Julia Giebel. Im Mittelpunkt aber Philipp Meierhöfer:  fast schon berührend in der Rolle des gefoppten, wenn auch etwas sturen Dr. Bartolo – am Ende hat er alles verloren: seine Antiquitäten wie sein Mündel.

Auch im Zeitalter des Internets – der alte „Barbiere“ zeigt noch immer, was eine echte Theater-Harcke ist!

Premiere: 9.Oktober 2016

Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper