Fulminant: ‚Elektra‘ in der Staatsoper im Schillertheater*****

Elektra2Im ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts haben zunächst Hugo von Hoffmannsthal (1903) und später Richard Strauss (1909) den heroisch-antiken Mythos um den Mord an Agamemnon ins zeitgemäß Psychologische und sogar Pathologische gewendet. Der Einfluß von Sigmund Freud ist dabei unübersehbar.

Tochter Elektra lebt nur noch, um sich an ihrer Mutter Klytämnestra zu rächen, die mit ihrem Liebhaber Aegisth einst ihren aus dem Trojanischen Krieg zurückkehrenden Vater Agamamnon erschlug. Ihre Schwester Chrysotemis dagegen will diese Vergangenheit vergessen und nur einer glücklicheren Zukunft leben. Als der totgesagte Bruder Orest unerwartet auftaucht, ist die Stunde der Vergeltung gekommen, Klytämnestra und Aegisth werden ermordet. Elektra steigert sich in hysterischen Triumph und stirbt.

Patrice Chéreau hat  – kurz vor seinem Tod im Oktober 2013 – diese expressive Musik-Tragödie für die sommerlichen Festspiele in Aix-en-Provance inszeniert; zugleich als Koproduktion mit verschiedenen großen Opernhäusern darunter auch Berlin. In fast zeitlos modernen Kostümen und einem schlichten Bühnenbild (Richard Perduzzi) erzählt Chéreau das Drama klar und – in der Grundidee – konventionell. Sein Genie jedoch beweist der französische Regisseur in einer Fülle von Details, die genau aus Text und Musik entwickelt sind und in einer hoch-präzisen Personenführung sich konketisieren. Die 5 Mägde, die sonst nur in der ersten Szene auftauchen, bleiben hier das ganze Stück über präsent, zusammen mit weiteren Diener-Komparsen als stumme Zuschauer und Zeugen des Geschehens. Klytämnestra tritt nicht als alte, mit Talismännern behängte Vettel auf, sondern als damenhaft-königliche Erscheinung in einer eleganten, dunklen Robe. Orest, im schwarzem Mantel, weilt erst lange im Halbdunkel der Hauswand, bis er ruhig und gelassen sich Elektra zu erkennen gibt. Und nach dem Mord an seiner Mutter verläßt er stumm und stoisch Hof, Palast sowie Schwester und Dienerschaft..

Ungewöhnlich auch Dirigent Daniel Barenboim, der die Musik geradezu entfesselt, Er peitscht die Staatskapelle mit ihrem wunderbar dunklen Ton heftigst auf, schichtet Klangmassen zu dröhenden Einwürfen, läßt instrumentale Solostimmen mal scharf mal zart  aufscheinen, und versteht es bravorös der Partitur einen mitreißenden Fluß zu verleihen. Berückend auch der Kontrast in den lyrischen Passagen, etwa in der innig und zärtlich leuchtenden Erkennungsszene der Geschwister. Die Schönheit wie die krasse Expressivität der Strauss’schen Musik kommt durch Barenboim und seine prächtigen Musiker zu vielschichtig-voller, suugestiver Entfaltung.

Doch Krönung der Aufführung sind die Sänger, bis in kleinste Nebenrollen trefflich besetzt. Wobei die Staatsoper seit einiger Zeit für winzige Rollen ehemalige Stars verpflichtet (diesmal: Roberta Alexander, Cheryl Studer, Franz Mazura, Donald McIntyre), deren Stimmen zwar altersbedingt schwächer klingen, deren Bühnenpräsenz aber immer noch anrührt  – eine ebenso luxuriöse wie schöne Geste. Michael Volle ist ein zrückhaltender, strenger Orest mit wohlklingend-vollem Bariton. Waltraud Meier beherrscht die Szene als Klytämnestra, elegant in Erscheinung wie Führung ihres flexiblen Mezzos. Die Kanadierin Adrienne Pieczonka beeindruckt mit ihrem hellen, strahlenden Sopran, perfekt passend für die naive Schwesternrolle der Chrysotemis. Alle aber überragt die Elektra von Evelyn Herlitzius. Obwohl von fast mädchenhafter, zierlicher Gestalt, verfügt sie über einen hochdramatischen Sopran, dem es gelingt alle Schwierigkeiten dieser extremen Partie  souverän zu meistern – von der dunlen Tiefe bis zur leuchtenden Höhe. Darstellerisch wie musikalisch von höchster Beweglichkeit und Intensität, gelingt ihr ein Rollen-Porträt, das alle Widersprüche des Elekta-Charakters durch stimmlichen Glanz und Schönheit nachvollziehbar macht – gelegentlich sogar Mitgefühl aufkommen läßt..

Eine fulminate Aufführung, in der alles zusammen paßt: Inszenierung, musikalische Interpretation und  überragende Sänger-Darsteller.  Eine schöne und hochwillkommene  Ausnahme im Berliner Opern-Alltag!

 Premiere: 23.Oktober 2016                                                                                                                 Foto: Monika Rittershaus /Staatsoper Berlin