Im wilden Osten: ‚Tschick‘ von Fatih Akin****

TschickEine Schule in Berlin-Marzahn. Maik Klingenberg, 14 jähriger Einzelgänger mit scheinbar reichen Eltern, hat nur Augen für die hübsche Mitschülerin Tatjana. Die beachtet ihn jedoch kaum und lädt ihn auch nicht zu ihrer Schulschluß- Party ein. Ebenso wenig wie Tschick, einen erst vor Kurzem in die Klasse gekommenen Russland-Deutschen. 

Dies ist der Ausgangspunkt für eine sich zögerlich entwickelnde Freundschaft und für eine gemeinsame Reise in einem gestohlenen Auto quer durch den wilden Osten. Da Maiks Mutter auf einer „Beauty Farm“ – zu deutsch: Entzugsanstalt für Alkoholiker – weilt und sein autoritärer Vater zu einer angeblichen Geschäftsreise mit flotter Assistentin aufbricht, passt es wunderbar, daß Tschick ihn mit einem geklauten Lada zu einer Reise in die sommerliche „Walachei“ abholt. Mit Schlafsack, Keksen und Cola (plus MaiksTaschengeld) gondeln sie unter stahlend-blauem Sommer-Himmel durch die weite Brandenburger Landschaft. Treffen eine blidungsbeflissene Öko-Familie auf einem alten Bauernhof, geraten in Streit mit einem sturen Dorfpolizisten, begegnen auf einer Müllhalde der jungen Streunerin Isa, die unbedingt nach Prag will und die ihnen beibringt wie man mit Hilfe eines alten Schlauches das für den Lada notwendige Benzin klaut. Sie fahren über waghalsige Sumpfbrücken, baden und waschen sich in einem tiefblauen Stausee und verabreden auf einer alten Burg-Ruine, sich in 50 Jahren an dieser Stelle wiederzutreffen.  Doch die Reise endet fast tragisch, als sie in einen bösen Unfall mit einem schlingernden Riesen-Laster verwickelt werden : aus Angst vor Polizei und drohender Einsperrung in ein Heim verschwindet der verletzte Tschick im Dunkel der Nacht,  während Maik nach kurzem Krankenhaus-Aufenthalt – dank der Anwälte seines Vaters – wieder zu Hause landet: was ihm bleibt, ist die Erinnerung an den unkonventionell-optimistischen Tschick und an einen tollen Sommer voll anarchischer Freiheit.

„Tschick“, das schmale Buch von Wolfgang Herrendorf erschien 2010 und entwickelte sich schnell zu einem Bestseller mit Millionenauflage. Das gleichnamige Theaterstück folgte kurz darauf. Kein Wunder, daß Produzenten und Regisseure sich um eine Verfilmung rissen. Doch 2015, kurz vor Beginn der Dreharbeiten, schied der vorgesehene Regisseur David Wnendt („Kriegerin“,“Feuchtgebiete“) aus. Fatih Akin übernahm das bereits zusammengestellte Darsteller- und Technik-Team und – trotz knapper Vorbereitundszeit – gelang ihm das Kunststück, die Frische und Lebendigkeit des Romans ins Filmische zu übersetzen.

Unkonventionell in Bildführung und Schnitt, kombiniert mit einem raffinierten Musik-Mix aus aktuellern Rock-Titeln mit der schmalzigen „Ballade pour Adeline“ von Richard Cleydermann, vor allen aber besticht der Film durch eine treffliche und überzeugende Besetzung der Hauptrollen: Tristan Göbel als der „Psycho“ Maik und Anan Batbileg als der stoische „Asi“ Tschick. Fatih Akin versteht es auch, den jugendlicher Überschwang, die Waghalsigkeit und den anarchistischen Freiheitsdrang mit leiser Melancholie zu mischen und so die Wahrhaftigkeit dieser heutigen „Coming-of-Age“-Geschichte zu bewahren. Und gleichzeitig alte literarische wie filmische Vorbilder duchschimmern zu lassen. Bei allen witzigen, komischen oder auch anarchistischen Turbulenzen dieser wilden Reise durch die sommerliche, deutsche Landschaft bleibt der tiefere Ernst dieser Lebensgeschichten gewahrt. Schöne Empathie für Außenseiter.

Daß der muntere Film auch einige Schwächen hat, fällt nicht weiter ins Gewicht. So scheint die Figur des Vaters allzu klischeehaft,, einige Episoden sind etwas zu ausführlich oder umständlich erzählt, dann lahmt das Tempo. Insgesamt jedoch  macht diese schräge Reise durch den sommerlichen Osten mit ihrem Anarcho-Unterton viel Spaß und sorgt für beste Kino-Unterhaltung  – ohne dabei die (oft harte) Realiät auszublenden.

Start: 15.September 2016

Foto/Plakat: Studio Canal Deutschland