Legende oder Realität ? : ‚Jackie‘ von Pablo Larrain***

JackieAm 22.November 1963 wurde der amerikanische Präsident John F. Kennedy in Dallas/Texas während einer Fahrt durch die Stadt im offenen Auto erschossen, am 25.November fand seine Beerdigung auf dem nationalen Helden-Friedhof in Arlington in Anwesenheit zahlreicher Staatoberhäupter statt – von den TV-Kamers live in alle Welt übertragen. Eine Woche später gab seine Witwe Jacqueline, genannt Jackie, auf dem Sommersitz der Familien in Hyannis Port einem Journalisten ein exklusives Interview, in dem sie ihre Sicht der aktuellen Ereignisse sowie ihrer Zeit als First Lady im Weißen Haus darlegte.

Dieses lange und sehr datailreiche Gespräch mit dem (namenlosen) Journalisten bildet den Rahmen des filmischen Porträts, das der renommierte, chilenische Regisseur Pablo Larrain („No“, „El Club“) und sein Drehbuch-Autor Noah Oppenheim von Jacqueline Kennedy, der wohl bis heute bekanntesten First Lady Amerikas zeichnen. In Rückblenden werden die besprochenen Geschehnisse nachinszeniert, die in opulenten Bildern  Jackies sehr persönliche Sichtweise der historischen Fakten zeigen. Diese Rückblenden-Technik ist in diesem Film jedoch ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig. Und zwar deshalb, weil sie nicht nach klassischem Vorbild streng chronologisch abläuft, sondern dem jeweiligen Gefühlszustand der noch unter Trauer-Schock stehenden Witwe entspringt. Also zeitlich mal vor- mal zurück springt, oder auch das selbe Ereignis mehrmals oder aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt  Mal ist sie die elegante First Lady, mal die verzweifelte Trauernde, mal die verstörte Mutter, mal die ehrgeizige Witwe, die das geschichtliche Erbe der Kennedys ein-ordnet. „Jackie“ wird so zu einem Porträt aus vielen unterschiedlichen Facetten dieser Frau. Vieles bleibt offen oder rätselhaft, ein psychologisch eindeutiges Bild ergibt sich nicht. Mal erscheint sie unsicher und naiv, mal sehr selbstbewußt und bestimmend. Sie hat während der kurzen Amtszeit ihres Mannes, das Weiße Haus zum glamourösen Mittelpunkt gemacht, Künstler und Wissenschaftler eingeladen, glanzvolle Konzerte und rauschende Partys arrangiert, sie hat versucht ihrem von der tödlichen Kugel getroffenen Mann die auslaufende  Gehirn-Masse im Kopf zurück zu halten, sie erlebte auf dem Rückflug von Dallas nach Washington noch völlig unter Schock die rasch arrangierten Vereidigung Lyndon B.Johnsons zum neuem Präsidenten der USA, und sie arrangierte gegen vielfachen und heftigen Widerstand das Begräbnis ihres Mannes als großen Staatsakt nach dem Vorbild eines Abraham Lincoln. Und versucht kurz darauf im Exklusiv-Interview so klug wie selbstbewußt jenes Bild von ihrem Mann, seiner Präsidentschaft und von sich selbst zu entwerfen, das nach ihrer Vorstellung in die offizielle Geschichtsschreibung eingehen soll. Deshalb darf der Zeitungs-Journalist auch viele Passagen des immer wieder von ihren Gefühls- und Tränenausbrüchen begleiteten Gesprächs nicht verwenden oder veröffentlichen.

Diese filmische Erzählweise bedeutet, daß Jackies Gesicht in raffiniert geschnittenen Großaufnahmen vorherrscht: mal verstört oder ausdrucklos, zart oder scheu, mal gefaßt und stark, dann wieder ratlos und unsicher. Natalie Portmann verkörpert diese vielschichtig-schillernde Persönlichkeit mit großer Intensität, ihr schönes, klares Gesicht prägt den Film. (Inzwischen oscar-nominiert!). Alle anderen bleiben – bewußt – Nebenpersonen, wenn auch exzellent gespielt:  Peter Sarsgaard als Kennedys ausgleichender Bruder Bobby, Billy Crudup als namenloser Jounalist und anregender Widerpart im langen Gespäch, Greta Gerwig als mitfühlende Assistentin Nancy sowie der Brite John Hurt als alter Priester, mit dem Jackie über Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens diskutiert –  es wurde seine letzten Rolle.

Kein emotional aufwühlendes Bio-Pic, sondern das eher nüchterne Porträt einer historischen Persönlichkeit, das sich nur auf einen kurzen Ausschnitt ihres Lebens bezieht und deshalb betont viele (historische) Fragen offen lässt. Dennoch: das filmisch-farbige Kaleidoskop einer ebenso faszinierenden wie ambivalenten amerikanischen Legende.

Poster/Verleih: Tobis Film

zu sehen: Capitol, CinemaxX Potsdamer Platz; Cine Star Sony Center (OV); Hackesche Höfe Kino (OmU); Kant-Kino; Kino in der Kulturbrauerei (dt. und OmU); Rollberg (OmU)