Einstürtzender Neubau: ‚The Salesman / Forushande‘ von Asghar Farhadi***

SalesmanMitten in der Nacht müssen die Bewohner eines modernen Mietshauses in Teheran im Eiltempo ihre Wohnungen verlassen: die Wände zeigen plötzlich geräuschvoll Risse, Fensterscheiben zerspringen – die tiefe Baugrube von nebenan unterspült das Fundament. Auch das junge Ehepaar Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti) steht so plötzlich auf der Straße. Beide sind Schauspieler und proben zur Zeit eine Aufführung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ (persischer Titel: „Forushande“) in einer – wie ausdrücklich erwähnt wird – von der Zensur gestatteten Fassung. Einer der Mitspieler vermittelt ihnen vorübergehend eine gerade leergewordene Wohnung, allerdings hat die Vormieterin noch ihre Sachen in einem der Zimmer gelagert. Diese Vormieterin war wohl Prostituierte (obwohl der Wort im Film nie ausgesprochen wird) und nicht alle ihrer Kunden haben den Wohnungswechsel mitbekommen. Folge: Rana, allein zuhause, wird eine Tages, während sie ein Duschbad nimmt, überfallen und am Kopf schwer verletzt. Doch sie weigert sich, aus Scham, den Überfall bei der Polizei anzuzeigen, obwohl ihr Mann Emad sie dazu heftig drängt. Zugleich ist Rana  stark traumatisiert, hat Angst allein in der Wohnung zu bleiben. Emad reagiert erst mit Unverständnis auf Ranas Verhalten, dann mit langsam steigender Wut: er will den unbekannten Angreifer ausfindig machen, der versehenstlich seine Autoschlüssel (in der Wohnung) und damit auch einen dazu gehörenden Lieferwagen (auf der Straße) zurück gelassen hat. Die Suche scheint zunächst erfolgreich, doch als Emad den Unbekannten mittels eines Tricks in die alte, halbzerstörte (aber dann doch nicht ganz eingestürtzte) Wohnung gelockt hat und ihm erstmals gegenübersteht, traut er seinen Augen nicht…

Der iranische Regisseur, der 2011 mit seinem Ehescheidungs-Drama „Nader und Simin“ sowohl den „Goldenen Bären“ wie auch den „Oscar“ gewann, ist auch in seinem neuesten Film sein eigener Drehbuch-Autor. Mit großem Feingefühl und scharfer Beobachtung schildert er auch diesmal, das Zerfallen einer ehelichen Beziehung. Weder Emad noch Rana, die im Theater das Zerbrechen der Familie des Handelsreisenden Willy Lohman abendlich vorspielen, nehmen ihre innere Entfremdung voneinander nicht wahr: Rana zieht sich nach dem Überfall (was dabei tatsächlich geschah, bleibt offen) auf sich selbst zurück, verweigert sich ihm, Emad fühlt sich in seiner Ehre als (Ehe-)Mann gekränkt, steigert sich in Rachegelüste, die jedes moralische Maaß übersteigen. Dieses psychologisch-realistich gezeigte Beziehungsdrama erzählt der Regisseur sehr geschickt im Stil eines Thrillers; gleichzeitig spiegelt er das naturalistische Geschehen in der künstlichen Theaterwelt. Kunstvoll auch Schnitt und Montage einzelner Bilder oder Filmsequenzen, die Symbolisches oder Widersprüchliches andeuten – und indrekt auf soziale und gesellschaftspolitische Verhältnisse im Iran weisen.

Hervorragend das Ensemble der Darsteller, besonders eindrucksvoll das sensible Spiel der beiden Protagonisten, die nie übertreiben und dadurch ihren Charakteren überzeugende Natürlichkeit verleihen.

Doch so klug und überlegen Aasgahr Farhadi dieses moderne Ehedrama im heutigen Teheran gestaltet und es mit viel filmischem Gespür erzählt, dieses Kino-Werk berührt nicht. Der Zuschauer bestaunt seine Kunstfertigkeit und die seiner Darsteller, er nimmt auch einige versteckte Hinweise auf die Situation im Iran zur Kenntnis. Doch die dramaturgische Konstruktion drängt sich zusehr in den Vordergrund, es fehlen die menschliche Dichte und emotionale Intensität von „Nader und Simin“ –  und somit wirkt „The Salesman“ wie der zweite, schwächere Aufguß des älteren Meisterwerks.

„The Salesman“ ist in der Kategorie „Bester ausländischer Film“  für den Oscar 2017 nominiert.

Poster/Verleih: Prokino Filmverleih

zu sehen: u.a. Cinema Paris (dt.); Filmtheater am Friedrichshain (dt.); fsk (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); Kino in der Kulturbrauerei (dt, und OmU); Yorck (dt.)