Berlinale 2017 : Mein Tagebuch

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Foto:H.Basse

  1. DJANGO von Etienne Comar (Frankreich)**

Biopic über den Jazz-Gitarristen Danjo Reinhardt. Dieser (erste) Spielfilm des Franzosen  Etienne Comar, der zuvor vor allem als Produzent und Autor gearbeitet hat, konzentriert sich auf die Zeit während des Zweiten Weltkriegs. Der Sinti Django Reinhardt feiert mit seinem Quintett in Pariser Konzerthallen Triumphe und glaubt sich deshalb vor den deutschen Besatzern sicher. Doch er muß erkennen, daß dies ein Trugschluß ist. Auf Rat einer befreundeten Nachtclubsängerin flüchtet er mit seiner Mutter und mit seiner schwangeren Frau in die Nähe der Schweizer Grenze in ein „Zigeuner“-Lager am Genfer See. Bald wird er von den Nazis erkannt und verhört und muß für ein pompöses, von den Offizieren veranstalteses Fest in einer Villa aufspielen, was jedoch katastophal endet.  Ob die Flucht  – zu Fuß und unter Zurücklassung von Frau und Mutter – durch die winterlichen Berge in die neutrale Schweiz gelingt, bleibt offen. Im kurzen Epilog, der nach dem Ende des Kriegs spielt, dirigiert Reinhardt in seinem frnzösischen Fluchtort ein von ihm komponiertes „Requiem“ für die ermordeten Sinti und Roma (ein Musikwerk, das lange als verschollen galt). Der Film erzählt diesen Lebensabschitt des berühmten Musikers in gedeckten Farben und konventionellen Bildern. Die angeschnittenen Themen (politische Blindheit, individuelles Verhalten gegenüber Diktaturen, Kollaboration) werden kaum vertieft oder weiterentwickelt. Der Film gleicht seiner dargestellten Hauptfigur : blass und glatt. Ein spannendes (nicht nur) historisches Thema, jedoch nur routiniert und oberflächlich bebildert.

Deutscher Filmstart: 27.7.2017

 

2. THE DINNER von Oren Movermann (USA)**

Der ehemalige Lehrer und Historiker Paul Lohman (Steve Coogan) und seine Frau  Claire (Laura Linney) treffen sich mit dessen Bruder Stan (Richard Gere), einem Kongreß-Abgeordneten, der kurz vor der Wahl zum Gouverneur steht, und dessen Frau Barbara (Rebecca Hall) zum Abendessen in einem Luxusrestaurant in der Nähe von New York. Grund: deren beider halbwüchsigen Söhne haben  – alkohlisiert – eine in einem Geldautomaten-Kiosk schlafende Obdachlose angezündet. Was tun? Sind die Kinder Monster oder um ihrer Zukunft willen (mütterlich) zu schützen? Würde das bisher unaufgeklärte Verbrechen die kommende Wahl Stans unmöglich machen? Soll er damit an die Öffentlichkeit gehen? Der Film ist im Grunde ein Kammerspiel, ähnlich dem erfolgreichen Theaterstück „Gott des Gemetzels“, doch der aus Israel stammende Regisseur Oren Movermann macht daraus ein temporeiches Kaleidoskop, das sich aller denkbaren filmischen Kunstgriffen virtuos bedient (Rückblenden, Innere Monologe, verzerrte Bilder- und Ton-Folgen usw.). Dazu reichert er die literarische Vorlage (einen niederländischen Bestseller) um politische Töne an und zeichnet so ein böse-schillerndes Bild der gegenwärtigen USA : zwischen Gesellschafts-Satire und  Politdrama. Doch er packt ein Zuviel an entlarvenden  Aspekten dem Kammerspiel auf, der Film wirkt oft überdreht und selbstgefällig und unterläuft so – trotz formaler Reize – seine eigene, kritische Absicht.

Deutscher Kinostart: 19.10.2017

 

3. T2 TRAINSPOTTING von Danny Boyle (GB)*** – außer Konkurrenz

1996 errang der britische Regisseur (und Oscar-Preistrager) Danny Boyle mit der kongenialen Verfilmung des Drogen-Romans „Trainspotting“ einen großen, internationalen Erfolg. Jetzt, 20 Jahre danach, hat er sich eine Fortsetzung erdacht, eine Wiederbegegnung mit den „Neuen Helden“ (so der deutsche Verleih-Titel einst), wobei Milieu und Haupt-Personen (und deren Darsteller) geblieben sind – nur eben zwei Jahrzehnte älter.  Mark Renton ( Ewan McGregor), der am Ende des alten Film mit viel geklautem Geld nach Amsterdam entschwand, kehrt nun ins schottische Edinburgh zuück, in jenes schäbige Viertel mit Drogen-Kneipen und Sex-Clubs, wo jedoch inzwischen die billig errichteten Neubau-Mietstürme schon wieder abgerissen werden. Die alten Kumpel ( Ewen Bremner, Jonny Lee Miller, Robert Carlyle) sind immer noch da, rauh und herzlich, geprügelt und gekockst wird auch noch heftig, und so erlebt Mark sein altes Revier wieder als anarchisch-schräge Welt aus Sex und Drogen, allerdings ganz schön nostalgisch verschleiert. Auch die Tonspur mischt viel Retro unter die dröhnende Musik. Die junge und sexy Migrantin aus Osteuropa läßt sich zwar für einige Erpressungsversuche an geilen Herrn geschick einsetzen, aber am Ende verläßt sie trotz aller rasanten Drogenräusche und wild erfundenen  Familen- und Freundschafts-Geschichten den schottisch-kauzigen, turbulentn Kiez: schön war die Zeit. aber die Wohnungen sind halt marode. Und die Zukunft?

PS. Das „T2“ im Titel ist Anspielung auf Arnold Schwarzeneggers „Terminator 2“.

Deutscher Kinostart: 16.2.2017

 

 

4. FINAL PORTRAIT von Stanley Tucci (USA)** – außer Konkurrenz

Der amerikanische Kunstkritiker James Lord lernt Anfang der 1960er Jahre den Bildhauer und Maler Alberto Giacometti in Paris kennen und sitzt ihm – auf Wunsch des Künstlers – für ein Porträt Modell. Diese Sitzungen ziehen sich länger als von Lord erwartet hin, so daß er seine geplante Rückkehr nach New York immer wieder verschieben muß. Denn: Giacometti ist ständig unzufrieden mit dem Bild, übermalt es, setzt von Neuem an, bis nach 20 Tagen James Lord dem ein Ende setzt und abreist. (Später schreibt er eine Biographie über den erfolgreichen Künstler). Bei den Sitzungen lernt er auch den „bohème“-haften Haushalt Giacomettis kennen, seinen Bruder Diego, seine Frau Annette, einst Modell der Statuetten, und die gegenwärtige Geliebte Caroline, eine Prostituierte, deren Zuhälter viel Geld von Giacometti erhalten. Gelegentlich wird in einem benachtbarten Lokal gespeist und getrunken, manchmal erfrischen sich Maler und Model bei Spaziergängen über den nahen Friedhof, wobei Giacometti seine rigiden Ansichten über Künstlerkollegen preisgibt. – Die Farben dieses Films des amerikanischen Regisseur (und Schauspielers) Stanlay Tucci sind stark ausgebleicht, die Erzählweise bleibt konservativ und rückt stehts nahe an die Darsteller heran. Giacometti wird von dem australischen Schauspieler Geoffrey Rush gemimt: als grauer, kauziger Wuschelkopf, der sehr selbtbezogen, aber nicht ohne Witz sein jeweiliges Gegenüber  kommandiert. Armie Hammer ist der schöne Kunstkritiker Lord mit dem ebenmäßigen Gesicht, der aus Neugier (und Eitelkeit?) sich porträtieren läßt und alle Launen den Künstler deshalb geduldig hinnimmt. Manche  Einzelheiten über den Künstler sind interessant oder erhellend, insgesamt aber bedient dieses Bio-Pic auf Grund seine Machart allzu sehr bekannte Film- und Kunst-Klischees.

Deutscher Kinostart: voraussichtlich 20.7.2017

 

 

5. WILDE MAUS   von Josef Hader (Österreich)***

Georg ist Musik-Kritiker-Star einer Wiener Tageszeitung. Doch eines Tages wird er aus Spargründes – wie der Chef sagt –  entlassen. Aus Wut und Scham verschweigt er den Job-Verlust seiner Frau Johanna, die als selbständigeTherapeutin arbeitet (mal mehr oder weniger erfolgreich). Georg vertrödelt ratlos seine Tage nun  mit Spaziergängen im Prater, wo er auf  den halbseidenen Erich, einen ehemaligen Mitschüler,  stößt und mit ihm (und seinem Geld) eine marode Achterbahn wieder zum Laufen bringt: die ‚Wilde Maus‘. Gleichzeitig versucht er sich an seinem ehemaligen Chef zu rächen, steigert sich dabei in seinen unterschiedlichen Mitteln (Messer,Schlagstock,Pistole) geradezu in einen Racherausch, der groteskerweise bis zu einem Morbversuch in einer Ski-Hütte führt – aber mißlingt. Auch die Beziehung zu Johanna, die sich mit ihren 43 Jahren immer noch von einem Kind träumt, bricht so langsam auseinander  – oder doch nicht?  Der Schauspieler und Kabatrettist Josef Hader hat – mit sich selbt in der Hauptrolle – für seinen ersten Spielfilm eine ebenso tragische wie komische Geschichte erdacht. Mit schlagfertigen Dialogen und kabarett-erfahrenen Schauspielern. Turbulente Szenen aus dem „weanerischen“ Alltag, mal grotesk, mal melancholisch. Nicht jeder Witz zündet, nicht jeder Szenen-Einfall überzeugt. Aber die pfeilspitzen Seitenhiebe auf den bürgerlichen Kultur- und Gesellschaftsbetrieb und die  prächtigen östereichischen Winterlandschaften, in denen der revoltierende Unglücksvogel auf komischste Weise zu „ersaufen“ droht, bieten doch zwei Stunden intelligent-gefällige Unterhaltung – mehr aber nicht!

Deutscher Kinostart: 9.3.2017

 

6. POKOT von Agnieszka Holland (Polen)**

Ein Dorf in der polnischen Provinz. Die vielen Tiere in der berg- und waldreichen Umgebung machen die Jagd zum verbindenden und bestimmenden Gemeinschafts-Ritual. Eine ältere Frau, einst Ingenieurin im Ausland und jetzt gelegentlich als Aushilfs-Lehrerin für Englischunterricht tätig, engagiert sich für diese Rehe, Wildschweine oder Füchse und versucht mit Anzeigen bei der Polizei die brutale Abschlachterei zu verhindern – vergeblich. So greift sie – unterstützt von ein paar Einzelgängern und Sonderlingen – zu härteren Gegenmitteln… Nach einer literarischen Vorlage schildert die bekannte polnische Regisseurin Agnieszka Holland (nach ihrer Rückkehr aus Hollywood) mit viel filmischer Routine und auch einigem Humor diesen Kampf einer Natuschützerin gegen die provinzielle Gesellschaft und ihre geistige Borniertheit. Doch bleibt der Film recht oberflächlich, delektiert sich an schönen Natur- und Tierbildern, während die politischen oder sozialen Amplikationen ziemlich klischeehaft wirken. Putzig statt bissig!

 

 

7. VICEROY’S HOUSE von Gurinder Chadha (GB)*** – außer Konkurrenz

1947 trifft Lord Mountbatten in New Delhi ein, als letzter englicher Vizekönig soll er den Subkontinent in die Unabhänigkeit führen. Auf zwei Ebenen werden diese sechs letzten Monate der britischen Herrschaft über Indien erzählt. In den punkvollen Salons debattieren Lord Mountbatten und  sein Hofstaat mit verschiedenen indischen Politikern (Gandhi, Nehru, Jinnah) die Form des neuzuschaffenden Staates; in den bescheidenen Wohnungen der Bediensteten versucht ein Diener-Liebespaar seine Zukunft zu gestalten, er ein Hindu, sie eine Muslima. Denn der ganze Kontinent wird von gewalttätigen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hindus, Sikhs und Muslimen schier zerissen. Am Ende setzt sich der „Mountbatten-Plan“ durch: die Teilung in zwei Staaten, das islamische Pakistan und das hinduistische Indien, ein Millionen-Flüchtlingsstrom von Umsiedlern ist die böse, bis heute nachwirkende Folge. Doch diese politische Dimension ist nur Hintergrund für einen üppigen Ausstattungs-Film mit prachtvollen Kostümen, exotischen Szenerien und schönen Menschen. Die meisten Darsteller gleichen eleganten Komparsen, nur Lord und Lady Mountbatten erhalten individuelles Profil, vor allem durch die schauspielerische Feinzeichnung von Hugh Bonneville und Gillian Anderson. Die britische Regisseurin Gurinder Chadhas („Kick it like Beckham“) verrät im Abspann, daß auch sie einer Familie entstammt, die zu den 16 Millionen Umsiedlern gehörte.  Deshalb dieser opulente Historienfilm in Form eines großangelegten Kino-Spektakels.

Deutscher Kinostart: 8.6.2017 unter dem Titel: „Der Stern von Indien“

 

8. HELLE NÄCHTE von Thomas Arslan (BRD)***

Michael, Bauingenieur in Berlin, lebt getrennt von seiner Frau und seinem 14-jährigen Sohn Luis. Jetzt ist sein in Norwegen lebender Vater gestorben, zur Beerdigung und zur Regelung des Nachlasses reist er mit Luis dorthin. Es ist Sommer und die Nächte sind im hohen Norden durchgehend hell. Michael, der weder zu seinem gestorbenen Vater noch zu seinem Sohn, ein engeres Verhältnis hatte, beschließt deshalb mit dem schweigsam-abweisenden Luis nach der Beerdigung ein paar Tage durch die grandiose Landschaft Norwegens (mit dem Mietauto) zu fahren und/oder zu wandern. In der Hoffnung einer Annäherung zwischen ihm und seinem Sohn. Filmisch ein Roadmovie mit langen Kamerafahrten durch die gigantischen Berg-und Fjord-Landschaften, zwischen diesen eindrucksvollen (Reise-)Bildern, dazwischen kurze Szenen mit dem sich anschweigenden Vater-Sohn-Paar. Erst ganz am Ende gelingt eine stumme Umarmung. Eine minimalistische Inszenierung der Berliner Regisseurs Thomas Arslan, der schon mehrere Arbeiten auf der Berlinale zeigte. Die „Hellen Nächte“ sind zwar mit dem österreichischen Schauspieler Georg Friedrich und dem aus „Tschick“ bekannten jungen Tristan Göbel gut besetzt, doch vermag der Film es nicht, eine tiefere Beziehung  zwischen der grandiosen nordischen Natur und der inneren Entwicklung des Vater – Sohn – Verhältnisses herzustellen. Symphatisch aber spröde.

Deutscher Kinostart: vorraussichtlich im Herbst 2017

 

9. THE PARTY von Sally Potter (GB)***

Janet (Kristin Scott Thomas) ist gerade zu Gesundheitsministerin im Schattenkabinett der Labour-Party ernannt worden. Das will sie nun in ihrem Londoner Reihenhaus mit ihrem Mann Bill (Timothy Spall) und einigen engeren Freunden feiern. Doch die Party geht gründlich daneben, die flotte Riege von sieben gut betuchten Alt-Linken überrascht sich gegenseitig mit allerlei unfreiwilligen Enthüllungen. Es geht um sexuelle Seitensprünge, um Furcht vor einer möglichen Krankheit, es macht sich Angst breit vor einer Trennung sowohl beim Gastgeber-Ehepaar wie bei den beiden lesbischen Freundinnen (Cherry Jones, Emily Mortimer). Der junge Banker-Freund (Gillian Murphy) – dessen Gattin Janets Assistentin ist und die ihr Fernbleiben zunächst entschuldigen läßt, – dieser hypernervöse Finanzmann kokst, versteckt seine Pistole erst im Abfalleimer und dann im Bad, während Janets beste Freundin April (Patricia Clarkson), deren deutscher Mann (Bruno Ganz) trefflich salbadert, für alles und jeden den passenden zynischen Spruch auf den Lippen hat. Die britische Regisseurin Sally Potter, die auch das Buch verfasste, hat in Schwarz-Weiß gedreht und steigert das ironisch-unterhaltsamen Kammerspiel rasch zur turbulent-überdrehten Farce mit gepfefferten Dialogen und sieben gestandenen Schauspielern, die „ihrem Affen Zucker geben“ dürfen und dies auch zur Freude des Publikums weidlich ausnutzen. Ein britischer Komödienstadl für intellektuelle Zeitgenossen

Deutscher Kinostart: noch offen

 

10. BEUYS von Andres Veiel (BRD)***

Der Regisseur Andres Veiel („Blackbox BRD“) und sein Team montieren aus zahlreichen, alten Dokumentaraufnahmen ein liebevolles Porträt von Joseph Beuys. Erstaunlich, wie viele, auch bis dato kaum bekannte Fotos, Ton-und Filmdokumente er in deutschen und internationalen (vor allem US-) Archiven aufgefunden hat. Das daraus zusammengeschnittene Porträt des Künstlers ist nicht streng biografisch angelegt, sondern gliedert sich nach den unterschiedlichen Aspekten, zeigt ihn als nachdenklichen Kunst- und Lebens-Theoretiker, als schlagfertigen Diskutanten vor TV-Kameras und Mikrofonen, als engagierten Lehrer an der Düsseldorfer Akademie – auch im Streit mit der Staatsbürokratie, als engagiertes Mitglied der neuen Partei der Grünen. Fünf Freunde (darunter Klaus Staeck) versuchen in kurzen, dazwischegeschnittenen  Statements Charakter und Anschauungen von Beuys über seine Auffassungen von Kunst, Moral und Politik zu erläutern. Auf alle weiteren Kommentare verzichtet der Regisseur. Keine journalistische oder gar kritische Auseinandersezung mit Beuys und seiner Kunst (und deren Auswirkung), sondern eine attraktive, nach formal-ästhetischen Regeln geschnittene filmische Huldigung eines der bedeutensten deutschen Künstlers in der 2.Hälfte des 20.Jahrhunderts.

Deutscher Kinostart: 1.6. 2017

 

11. SAGE FEMME von Martin Provost (Frankreich)***- außer Konkurrenz

Diese französische „Sage Femme“, zu deutsch Hebamme, ist keine Kandidatin für ein ehrgeiziges Kino-Festival, sondern ein freundlicher, auch nachdenklicher Film für den Familienbesuch am Sonntag Nachmittag. Catherine Frot spielt die fast 50jährige Hebamme Claire, wohnhaft in der Nähe von Paris, als patente, freundliche Frau, mit studierendem Sohn und hübschem Schrebergarten. Bis sich Beatrice meldet, die ehemalige Geliebte ihres verstorbenen Vaters, jetzt eine ältere, doch immer noch attraktive Zockerin, die Steaks mit Majonnaise und Rotwein schätzt, ständig raucht und der soeben ein Hirn-Tumor diagnostiziert wurde. (Eine tolle Rolle für die souverän agierende Catherine Deneuve.) Obwohl Claire zunächst nichts mit Beatrice zu tun haben will, werden – entsprechend dem erfolgreichen französischen Filmrezept – beide mit der Zeit beste Freundinnen. Und es macht Spaß den beiden Schauspielerinnen zuzuschauen und mit ihnen die ganz alltäglichen Probleme vom Kinderkriegen über Garten- und Liebesfreuden bis zur Altersarmut und Einsamkeit nach zu erleben. Ein wenig Sentimentalität darf dabei nicht fehlen, aber die menschliche Wärme, die diese beiden Diven in den Alltags-Klamotten und -Sorgen ausstrahlen, stimmt heiter und versöhnlich.

Deutscher Filmstart: 8.6.2017 unter dem Titel: „Ein Kuss von Béatrice“

 

12. COLO von Teresa Villaverde (Portugal)***

Portugal heute. Eine kleine, adrette Wohnung in einem modernen Mietshaus, darin ein Familie. Der Vater ist arbeitslos, verbringt die Tage auf der leeren Dachterasse, im naheliegenden Park oder am Meer. Die Mutter schuftet in meheren Nebenjobs, die 17jährige Tochter geht noch zur Schule, trifft sich gelegentlich mit einem gleichaltrigen Freund. Geld fehlt, der Strom wirg gesperrt. Doch die schlechte soziale Situation schließt die Familie nicht zusammen, sondern sprengt sie. Jeder der drei beginnt eigene Wege zu gehen. Der Vatre zieht zur Großmutter aus Land, die Mutter sucht genervt neue Jobs, verläßt die Wohnung, die geräumt und vermietet werden soll, die Tochter zieht durch die Stadt, dann in die nur tagsüber benützte Hütte eine Fischers am Tejo… Die portugiesische Regisseurin Teresa Villaverde erzählt diesen Zerfall einer „normalen“ Familie in langen, sorgfältig cadrierten Einstellungen, meist aus einiger Distanz, Der Fluß der Bilder ist sehr langsam, nur gelegentlich durch heftige Gefühlsausbrüche der Personen akzentuiert. Nur ganz dezent wird (klassische) Musik unterlegt. Offen bleibt: ist diese Auflösung der Familie Zeichen der derzeitigen sozial-politischen Situation Portugals oder sind psychologische Ursachen der drei so unterschiedlichen Charaktere die Ursache? In seiner Eigenwilligkeit ein festspielwürdiger Beitrag zur Berlinale.

 

13. RETURN TO MONTAUK  von Volker Schlöndorff (BRD)**

Der deutsche Schriftsteller Max Zorn befindet sich auf kurzer Lesereise in New York, wo seine Frau und Mitarbeiterin Clara auf ihn wartet. Durch Zufall trifft er seine einstige Geliebte Rebecca wieder, jetzt erfolgreiche Rechtsanwältin in Manhattan, und verbringt mit ihr das Wochenende im (winterlichen) Montauk auf Long Island – wie sie beide dies schon einmal vor vielen Jahren getan haben. Alte Erinnerung werden lebendig und die Frage gestellt, ob die damaligen Entscheidungen die richtigen waren. Was hat jeder inzwischen erlebt und erfahren und sind ihre Gefühle noch die gleichen oder haben sie sich geändert und wenn ja, warum? Am Ende: die Rückkehr in die Stadt und nach Deutschland. Volker Schlöndorff hat die Grundkonstellation des bekannten Montauk-Romans von Max Frisch mit eigenen biografischen Erlebnissen verbunden und zusammen mit dem irischen Autor Colm Tóibin daraus ein Drehbuch mit vielen langen Mono- und Dialogen geschrieben. Zwar routiniert und gefällig in Szene gesetzt, doch wirken der Film und seine konservative Machart merkwürdig altmodisch und „riechen“ nach hausbackenem Literatuer-Ersatz. Stellan Starsgard spielt den Schriftsteller Max, strahlt aber wenig intellektuell-männliche Attraktivität aus. Auch Nina Hoss – darstelerisch wie immer vorzüglich – gewinnt als Rebecca keinen festen, runden Charakter – ebenso Susanne Wolf als Clara, – alle Figuren sind keine Personen, zeigen nur deren Umrisse. Das  ehrgeizige, literarisch angehauchten Film-Projekt wird so zur herkömmlichen, mittelmäßigen Kino-Unterhaltung.

Deutscher Kinostart: 11.5..2017

 

14. ANA, MON AMOUR von Calin Peter Netzer /Rumänien)***

Die Liebesgeschichte von Ana und Toma beginnt im Literaturseminar auf der Uni und endet viele Jahre später mit der Scheidung, wobei die Möglichkeit einer Versöhnung offen bleibt. Ana hat ein Problem, sie leidet als junge Frau unter Panik-Attacken (familienbedingt ?), die sie mit diversen Psychopharmaka bekämpft. Toma betreut und beschützt sie liebevoll, begleitet sie zu Ärzten und Psychiatern. Erst als sie ein Kind bekommt, überwindet sie ihre Krankheit. Jetzt aber leidet sie unter der ständigen Fürsorglichkeit Tomas, fühlt sich in ihrer wachsenden Selbständigkeit eingeschränkt. Toma wird darum unsicher, eifersüchtig, am Ende platzt die Ehe. Der rumänische Regisseur Calin Peter Netzer, der mit seinem Film „Mutter und Sohn“ 2013 den Goldenen Bären gewann, erzählt die Beziehungsgeschichte von Ana und Toma fast ausschließlich in Nah- und Groß-Aufnahmen, meist mit der Handkamers aufgenommen und in einer leicht verwirrenden Rückblendentechnik: Toma liegt auf einer Psychoanalytiker-Couch und erinnert sich im Gespäch wie in Erinnerungs-Bildern an die Zeit mit Ana. Am Rande tauchen dabei auch die Eltern der beiden auf: die von Ana klein-, die von Toma groß-bürgerlich, beide Vertreter der alten rumänischen Gesellschaft, wobei Politisches nur vage angedeutet wird. Sehr präsent dagegen agieren die beiden Hauptdarsteller Diana Cavalliotis und Mircea Postelnicu, und lassen differenziert die unterschiedlichen Gefühlszustände im Laufe ihrer Beziehung sichtbar werden. Doch der Film bleibt letzlich sehr privat und – für ein internationales Publikum –  nur eingeschränkt interessant.

Deutscher Kinostart: voraussichtlich im Herbst

 

15. MR.LONG von Sabu (Japan)**

Mr. Long gehört zur Maffia in Taiwan. Er übernimmt einen Killer-Auftrag im fernen und ihm sprachlich unverständlichen Tokyo. Der geht schief. Verwundet flieht er in ein verlassenens Viertel, wo ein kleiner Junge und dessen drogensüchtige Mutter ihm wieder auf die Beine helfen. Er revanchiert sich mit dem Kochen einer delikaten Nudelsuppe. Bald besitzt er mit Hilfe freundlicher Nachbarn eine fahrbare Küche und wird zum gutherzigen Vater einer kleinen Familie. Bis unerwartet die alten Maffia-Kollegen wieder auftauchen… Ein zwiespältiger Film des japanischen Regisseurs Hiroyuki Tanaka (genannt: Sabu), unentschlossen changierend zwischen Gangster-Drama und Klein-Familien-Kitsch. Blut-triefende, surreal überhöhte Killer-Masaker wechseln mit appetit-anregenden Kochkunst-Einlagen und idyllischen Familien-Ausfügen in japanische Freizeitparks Trotz einzelner raffiniert gefilmter Sequenzen (das nächtliche Taipeh, der Killer-Show-Down) entpuppt sich dieser Mr.Long, der Mord- und Küchen-Messer gleich virtuos bedienen kann, als eine sich dramaturgisch unentschlossene, nur mäßig schmackhafte Kino-Mahlzeit.

Deutscher Kinostart: 14.9.2017

 

16. TOIVON TUOLLA PUOLEN von Aki Kaurismäki (Finnland)****

Der junge syrischer Flüchtling Khaled beantragt Asyl in Finnland, der Antrag wird jedoch – einige Zeit später – abgelehnt. Daraufhin versteckt er sich im Hinterhof eines abgelegenen Restaurants, wo ihn dessen Besitzer Wikström, ein ehemaliger Verteter für Hemden und Krawatten, entdeckt und – nach kurzem, handfestem Schlagabtausch – als (günstige) Arbeitskraft beschäftigt. Doch Rechtsradikale lauern dem (illegalen) Flüchtling immer wieder brutal auf… Regisseur Aki Kaurismäki verknüpft die beiden Schicksale des syrischen Flüchtlings und des älteren, finnischen Restaurant-Chefs in einer ebenso einfachen wie treffenden Erzählweise. Der Rhythmus bleibt ruhig, die Bilder  sind einfach und klar, und immer wieder wird dazwischen von finnischen Musikern temperamentvoll gesungen und aufgespielt. Neben den überzeugenden, syrischen „Gast“-Schauspielern greift Kaurismäki auf sein bewährtes Darsteller-Ensemble zurück – auch in kleinsten Nebenrollen – und vermag so das bedrückende (gesamteuropäische) Flüchtlingsproblem dieser Tage mit dem trocken-lakonischen und humorvoll-ironischen Blick des gestandenen Filmemachers auf eine schöne, menschliche Weise aus-zu-balacieren. Ein runder, in sich stimmiger Film und ein wunderbares, anderthalbstündiges Kino-Vergnügen.

Deutscher Kinostart. voraussichtlich 30.3.2017