Ein weites Land: ‚Certain Women‘ von Kelly Reichardt****

Certain WomenEine Klein-Stadt im US-Bundesstaat Montana, die nähere Umgebung: ein flaches, winterliches Land, in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains. Vier Frauen stehen im Mittelpunkt dreier lose miteinander verknüpften Geschichten.

1. Laura (Laura Dern), eine Anwältin mittleren Alters, hat Schwierigkeiten mit einem Klienten, der ihren juristischen Ratschlag – nicht zu klagen – erst dann beherzigt, als ein männlicher Rechtsanwalt diesen klar bestätigt. Der danach einen Polizisten in Geiselhaft nimmt, und Laura mitten in der Nacht den unblutigen Ausgang vermitteln darf.

2. Die Geschäftsfrau Gina (Michelle Williams) macht mit Mann und pubertierender Tochter einen Camping-Urlaub und träumt von einem eigenen Haus, für das sie umherliegende Sandsteinhaufen einem alten Mann geschickt und freundlich abhandelt.

3. Eine Pferdepflegerin mit indianischen Wurzeln, Jamie (Lily Gladstone), verliebt sich in Beth (Kristen Stewart), eine junge Abendschul-Lehrerin, die gerade ihr Jura Examen bestanden hat. Ob die etwas überanstrengt wirkende Beth die herzlich und unschuldig wirkenden Gefühle der vereinsamten Jamie erkennt, und was sie darüber denkt, bleibt offen. Als sie ihren abendlichen Zusatz-Job (wegen der zu langen Anfahrt in die Schule)  aufgib, kommt es zu einer letzten, stummen Begegnung.

Die amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt, die mit Filmen über starke Frauen  wie „Wendy und Lucy“ oder „Meek’s Cutoff“ berühmt wurde, schildert in ihrem neuen Werk – dessen Drehbuch sie bassierend auf Kurzgeschichten der aus Montana stammenden Autorin Maile Meloy verfasste – auf ganz unspektakuläre Weise die Befindlichkeit und Sehnsucht von vier sehr „normalen“, durchschittlichen Amerikanerinnen, die ihren jeweiligen Alltag meistern müssen. Das Wunderbare daran ist, daß die Regisseurin dies nicht in ausführlichen und / oder  erläuternden Dialogen, sondern in sorgfältig ausgesuchten und raffiniert montierten Bildern und Sequenzen erzählt. Stumme Blicke und charakteristische Bewegungen machen deutlich, was im Innern der Frauen vorgehen könnte. Dabei spielt die winterliche Landschaft Montanas nicht nur den optisch dekorativen Hintergrund, sondern öffnet sich als vielschichtiger Resonanzraum für Gedanken und Gefühlen der vier.

Die klaren und offenen Gesichter der Star-Schauspielerinnen sowie ihre darstellerische Präsenz lassen die unterschiedlichen Verhaltensweisen und persönlichen Eigenschaften der Frauen  äußerst lebendig und nachvollziehbar werden. Frauen, die allen widrigen Umständen zum Trotz sich nicht unterkriegen lassen, und die lakonisch und zäh ihr Alltags-Leben zu bewältigen versuchen.

Ein ebenso schlicht wie elegant inszenierter Film über vier Frauen von heute –  ohne jeden ideologisch-feministischen Zeigefinger, dafür voller Empathie und kluger Menschen-Beobachtung.

Poster / Verleih: Peripher

zu sehen: Brotfabrik-Kino; Central Hackescher Markt; City Kino Wedding; Filmkunst 66; fsk Oranienplatz; in allen Kinos nur in „OmU“ -Fassung.