Unheimliche Begegnungen: ‚L’invisible‘ in der Deutschen Oper Berlin****

InvisibleDer Berliner Komponist Aribert Reimann – berühmt vor allem für seine zeitgenössischen Vocal-Werke und inzwischen 81 Jahre alt – hat drei frühe Einakter des belgischen Dichters Maurice Maeterlinck zu einer neuen Oper zusammengestellt (in der französischen Originalsprache) und ihr den etwas mehrdeutigen Titel „L‘ Invisible“ verpasst : Der, Die oder Das UNSICHTBARE. Gemeint ist damit die unsichtbare Gestalt des Todes. In „L’Intruse“ (Der Eindringling) erscheint er einer jungen Mutter im Kindsbett, während die Familie im Nebenzimmer tafelt. Nur der Großvater vermag den Eindringling zu sehen und zu erkennen, am Endes stirbt die Mutter, während das Kind seinen ersten Schrei ausstößt. „Interieur“ ist der sich nahtlos anschließende zweite Einakter betitelt, in dem ein Alter und ein Fremder einer Familie bei Weihnachtsvorbereitungen durchs große Glas-Fenster zuschauen, zugleich aber sich scheuen, dieser Familie Mitteilung vom soeben erfolgten Selbstmord der Tochter zu machen. „La Mort de Tintagiles“ (Der Tod des Tantagiles), das dritte Stück, spielt im Bereich einer bösen (unsichtbaren) Königin, die ihren jungen Enkel Tintagiles umbringen lassen will, um sich so von unerwünschter Nachfolge zu befreien. Vergeblich versuchen die beiden älteren Schwestern des Jungen, ihn zu retten.

Aribert Reimann hat  – als Musiker und Librettist –  die drei unterschiedlichen Geschichten geschickt miteinander verbunden: zum einen durch die Sänger, die in allen Stücken, aber in unterschiedlichen Rollen auftauchen, zum andern durch Verknüpfung musikalischer Motive und Strukturen. „L*Intruse* wird nur von Streichinstumenten begleitet, in „Interieur“ sind ausschließlich Blasinstumente zu hören – in oft ungewöhnlichen Akkorden, –  erst im „Tod des Tintagiles“ setzt das volle Orchester ein, von Chefdirigent Donald Runnicles klug ausbalanciert und in seiner raffinierten Komplexität gut hörbar gemacht.

Der junge russische Gast-Regisseur Vasily Barkhatov erzählt diese symbolistischen, düster-bedrohlichen Geschichten im heutigen Gewand. Eine schlichte, graue Haus-Fassade beherrscht die breite Bühne (Bild: Zinovy Margolin). Große, mal geöffnete, mal geschlossene Glasfester und Türen geben den Blick auf Innenräume frei. Alle Personen tragen einfache, aber elegante, moderne Kleidung. Die ersten beiden Episoden sind nüchtern und klar arrangiert, geschickt eingeblendete Video-Schatten betonen das Unheimliche und Surreale, beispielsweise wenn die zögerlich vor dem Fenster Harrenden in „Interieur“ sich nicht trauen die schrechliche Todesbotschaft der Familie mitzuteilen, während im Schattenriß die Leiche der Toten von den Dorfbewohnern herangetragen wird. Das letzte – im Maeterlinck-Original in einer Märchenburg spielende – Stück verlegt der Regisseur in ein modernes Krankenzimmer, die Hexe wird zum diabolischen Arzt, die verzweifelt um denkleinen Jungen besorgten Schwestern zum Pflegepersonal. Düster-sureale Bilder wie ein zertrümmertes Auto oder einstürtzende Neubauten überfrachten jedoch das Geschehen mit überflüssig-kunstgewerblichen Theatertricks.

Aus dem insgesamt vorzüglichen Sänger-Ensemble, darunter Annika Schlicht und Thomas Blondelle,  ragt die Sopranistin Rachel Harnisch hervor, die die einzige großangelegte Solo-Gesangsszene (im letzten Stück) bravourös  gestaltet.

Die Deutsche Oper hat mit dieser Uraufführung dieser neuen und zugleich neunten Oper von Aribert Reimann einen schönen Beweis ihrer künstlerischen Leistungskraft gezeigt.

Premiere:  8.Oktober, weitere Vorstellungen: 18.; 22.; 25.; 31.Oktober 2017

Foto: c.Bernd Uhlig /Deutsche Oper Berlin (auf dem Bild von Links: Rachel Harnisch, Annika Schlicht,Thomas Blonelle)