Packend: ‚Pelléas et Mélisande‘ in der Komischen Oper****

PelleasKomEin gewagter Coup: Zu Eröffnung der Jubiläumsspielzeit „70 Jahre Komische Oper“ inszeniert Hausherr und Chef-Regisseur Barrie Kosky das lyrisch-zarte, symbolistische Musikdrama „Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy (im französischen Original). Und er gewinnt – zumindest beim herzlich und stark applaudierenden Publikum. Sein Trick: aus dem poetischen Märchendrama macht er eine hochdramatisch-packende Liebes-Tragödie. Im Mittelpunkt: Mélisande, eine zwar geheimnisvolle, aber durchaus selbstbewußte Frau, die sich in einer düster-brutalen Macho-Welt behaupten muß. Wie bekannt vergeblich: am Schluß robbt sie – nach der Geburt ihres Kindes – blutend über den Bühnen-Boden und stirbt, während in Hintergrund ihr Schwiegervater König Arkel ihrem Mann Golaud kühl eine Auszeit anrät.

Die Bühne von Klaus Grünberg ist eine sich nach hinten verjüngende Flucht  enger, dunkler Räume, leer bis auf eine kleine Bank. Der gegenläufig sich drehende Bühnenboden, fährt die einzelnen Personen geräuschlos herein und wieder hinaus. Das Licht, mal warm, mal kalt, deutet unterschiedliche Atmosphäre an. Alles konzentriert sich so auf die Personenführung von Regisseur Kosky. Geschickt wechselt er zwischen symbolischen Bewegungs-Auftritten und ganz realistisch ausgespielten Dialog-Szenen. Dabei zeigt er ungewöhnich deutlich Gewalt und Sex innerhalb dieser Familie, in die Mélisande geraten ist. Wie Golaud seine Frau brutal zwingt und mißhandelt, wie der leicht verklemmte Pelléas um Mélisandes Zuneigung ringt und wie sogar König Arkel seine Schwiegertochter handgreiflich befingert.

Diese hochdramatisch ausgespielten Szenen gewinnen ihre starke Beglaubigung durch die außergewöhnlichen und überzeugenden Sänger-Darsteller. Nadja Mchantaf ist eine immer elegant gekleidete, taffe Mélisande, die keinen noch so heftigen körperlichen Einsatz scheut und deren leuchten-heller Sopran diese Figur vor allem auch musikalisch lebendig werden läßt. Günter Papendell charakterisiert den rüden Golaud durch seinen kernigen Bariton, während Jonathan McGovern (als Zweitbesetzung) den schüchternen Pélleas mit ungewöhnlich hohem Bariton  und Jens Larsen den kalt-steifen König Arkel mit näselndem Baß verlebendigen. Einhelligen Sonderbeifall des Publikums erhält der vitale Tölzer Sängerknabe David Wittig als der von seinem Vater Golaud zum Spitzeln gezwungene Sohn und Knabe Yniold.

Das Orchester der Komischen Oper – obwohl für die Musik Debussys nicht unbedingt prädestiniert – macht sich dessen farbig-vielschichtige, impressionistische Klangwelt bestens zu Eigen, zumal der als neuer Kapellmeister engagierte Dirigent Jordan de Souza klug für die dem Bühnengeschehen angepasste Dramatik sorgt, und die Partitur in ihrer feinen Klangpracht und vollen Dynamik ausreizt. Ein souveränes Debüt des aus Kanada stammenden Dirigenten.

Barrie Kosky hat mit „Pelléas et Mélisande“ wieder einmal bewiesen, daß seine „Komische Oper“ nicht nur für musikalischen Strass und Glamour steht, sondern auch für intelligente Auseinandersetzung mit ernstem, ansruchsvollem  Musiktheater.

Premiere: 15.Oktober, weitere Vorstellungen: 21.; 28.Okt.; 17.Nov.; 2.; 14.; 23. Dez.2017

Foto: Komische Oper Berlin / c. Monika Rittershaus